Zeitreise

Mir ist heute bewusst geworden, dass man nie so sehr im Jetzt lebt wie als Mutter. Denn sonst wäre es heute nicht so verrückt für mich gewesen, meinen PC zu durchforsten. Da mein Mann an einem geschäftlichen Anlass war, nutzte ich die Zeit, um meinen Laptop aufzuräumen. Dabei stiess ich auf sonderliche Fotos von mir von vor nicht allzu langer Zeit, die eine ungepflegte 20+-jährige zeigen, die in alten Better Bodies Trainingsshorts ihres Vaters und strähnigen, dunkel getönten Haaren rumsitzt. Das Gesicht ist irgendwie aufgedunsen und farblos, igitt! Andere Fotos zeigen mich mit Schwabbelbauch. Übel! Ich bin jetzt ja auch nicht schlank, aber diese Fotos zeigten mir, dass ich nur in einer sehr kurzen Phase meines Lebens eine gute Figur hatte. Von dieser guten Zeit gibt es leider nur ein paar wenige Bilder, aber immerhin, solche fand ich auch. Ich fand auch ein eingescanntes Foto, dass mich als Baby im Spital zeigt, kurz nach der Geburt, mit stolzen Eltern. Das lässt einen doch wehmütig werden. Seltsam, mich jetzt als zweifache Mama zu sehen. Ich bin dem Baby auf dem Foto, das zu seinen Eltern gehört, irgendwie noch näher, aber meine Kinder sind ja auch noch klein. Dann wieder entdeckte ich Fotos meines Sohnes und, Himmel, er ist doch erst 2 Jahre alt, aber die Fotos, die ihn im Alter von 3-4 Monaten zeigen, scheinen Jahre zurück zu liegen. Ich kann mich bloss daran erinnern, dass er mal wie ein Baby aussah, ja eines war, lebendiger Wirbelwind der er heute ist. Ich fand E-Mails meiner Mama und ich bin froh, dass ich heute mit meinem Vater an ihrer Stelle E-Mails austausche…

Liebe Mama…

…du wirst Dich freuen, zu hören, dass Papa doch ab und zu zu mir schaut. Wir waren heute auf der Terrasse und genossen mit Deiner Enkelin die Sonne. Und da Dein Enkel bei der Nana war, konnten wir mal ungestört plaudern und das tat gut. Ich habe zum Gingko rüber geschaut und mir vorgestellt, dass Du da bist, habe es vor mir gesehen wie Du gerade vom Garten hinter dem Haus hervor gelaufen kommst, verschwitzt, mit kurzen Hosen, eine Harke oder Giesskanne in der Hand, wie so oft. Oder aber einer Schüssel mit frisch gepflückten Himbeeren, aus der noch Ameisen hervorwuseln. Papa hat gesagt, er habe bereits eine erste, reife Beere gepflückt und in einer Woche schaue ich nach, ob es noch mehr davon gibt. Wärst Du da gewesen, wärst Du wohl kurz unter die Dusche da es Dich immer so juckte wenn Du im Garten warst. Ich sollte auch immer schauen, ob nicht noch irgendwo ein Käfer oder eine Zecke sitzt. Und dann hättest Du einen kalten Znacht zubereitet, vielleicht Melonen, Schinken und Brot und Papa sich das EM-Spiel angeschaut…
In dieser Erinnerung bin ich vielleicht 20 und du kerngesund. Wie wäre es heute gewesen? Jetzt, wo Enkelkinder da sind? Wärst Du noch da, wärst Du gesund? Oder wärst Du da, aber nicht bei Kräften? Wie würdest Du mit Deiner Enkelin umgehen? Du hast zwar meinen Mann noch kennengelernt, aber wohl nicht geahnt, dass ich mit ihm eine Familie gründen würde. Du hast mich nicht schwanger erlebt, konntest nie ein Enkelkind in den Händen halten. Wie wäre wohl Dein Gesichtsausdruck gewesen? Leider werde ich das nie erfahren… Wie so vieles. So viele Fragen hätte ich Dir in diesen nun über 2 Jahren gestellt. Wann ging ich aufs Töpfchen? Wie geht das Rezept für den leckeren Nusskuchen? Wo sind meine alten Legos? Wann hast Du mich mit ins Fitness genommen? Wie war meine Geburt? Konntest du gut stillen? Wie war ich als Baby? Wie als Kind? Was hast du so getan als ich noch klein war? …

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