Artgerechtes Familienleben im 3. Jahrtausend

Letzte Woche ist wieder mal eine meiner Mamafreundinnen bei mir gewesen. Eine, mit der ich in punkto Mutterschaft vieles gemein habe (weshalb der Austausch immer ganz toll ist. 🙂 Die Mädels haben sich bestens unterhalten und wir Mütter konnten in Ruhe unsere Kaffees trinken – und reden. Und sie machte mir wieder mal deutlich, was wir hier (mag sein, dass ich mich wiederhole, denn ich habe ähnliches auch schon berichtet), fernab von einem artgerechten Familienleben, ja, leben… Jetzt mal ganz abgesehen von unserem Umgang mit Kindern, wo wir uns ja sehr um Artgerechtigkeit bemühen. (Stillen, über den 6. Monat hinaus; Familienbett, Tragen; Windelfrei etc.).

Wir sind keine perfekten Eltern

Vielmehr ging es um UNS. Ich hole ein bisschen aus. Weder sie noch ich fühlen uns zugehörig zu der Gruppe „absolut perfekter Eltern„, die den ganzen Tag lang um ihre Kleinen herumwuseln. Die stundenlang mit ihnen spielen und basteln, ihnen auf dem Spielplatz auf den Kletterturm nachsteigen und eieiei und dabei fast selber zum Kind werden. Wir stellen jetzt das „perfekt“ sowieso mal grundsätzlich in Klammern und versehen es mit einem Fragezeichen. Denn das ist eben genau nicht artgerecht, wie wir finden.

Kinder sollten mit Kindern und Erwachsene mit Erwachsenen bzw. ihrem Tun. So war das früher und so ist das noch heute dort, wo die Menschen naturnah leben und überhaupt mal den Tag hinüber anderes zu tun haben, als die Kinder nonstop zu bespassen. Als Babys „laufen“ die Kleinen noch auf dem Rücken ihrer Familienmitglieder und an der Brust ihrer Mutter mit. Sie sind also von Geburt an in die Tätigkeiten und das Leben mit eingebunden. (Und haben folglich später auch kein Problem damit, diese Tätigkeiten erst nachzuahmen und später selbstverständlich selber auszuführen. – Siehe Continuum Concept).

Viele leben isoliert

Je unabhängiger die Kleinen werden, desto mehr verbringen sie ihre Zeit mit anderen Kindern. Es muss wohl nicht erwähnt werden, dass das Leben im Stamm bzw. der Sippe Fremdbetreuung erübrigt und viele Synergien schafft. Konträr dazu steht das heutige Familienleben. Ab und zu erlebt man, dass mehrere Generationen unter einem Dach leben. (Am ehesten ist das noch dort der Fall, wo die finanziellen Mittel gering sind, z.B. bei Einwanderern).

Aber viele Familien leben isoliert (zum Teil sind auch Grosseltern oder andere Verwandte nicht in unmittelbarer Nähe/“Greifweite„). Wir leben zwar heute einen hohen Lebensstandard, in schönen Wohnungen/Häusern. Vor der Geburt haben beide Partner voll gearbeitet. Sie verfügen über ein gutes, finanzielles Polster. Dieses ermöglicht, dass ein oder beide Elternteile nach der Geburt den Beruf für eine Weile aufgeben oder reduzieren können. Aber gerade das kann zum Problem werden.

Alleine mit der neuen Herausforderung

Viele, meist Mütter, verbringen den ganzen Tag alleine mit Baby/Kindern zuhause. Entweder gehen sie auf in ihrer Rolle, vielleicht weil sie selber noch in einer kinderreichen Familie aufgewachsen sind (was immer seltener wird). Oder aber sie sehnen sich nach einer Herausforderung jenseits von Babybrei und Krabbelgruppe (weil sie in den rund 30 Jahren ihres bisherigen Lebens etwas ganz anderes gewohnt waren). Und das heisst nicht, und das möchte ich jetzt betonen, dass sie ihre Kinder weniger lieben als diejenigen, die im Elternsein völlig aufgehen.

Aber wer sich 30 Jahre lang nur um sich selber kümmern musste und unabhängig lebte, für den ist es einfach eine ziemliche Umstellung. Zumal eben alleine mit der Herausforderung. Der Alltag mit Baby gibt ja verhältnismässig wenig zu tun heute mit Helfern wie Geschirrspüler, WM/TU, Induktionsherd, Mikrowelle und Backofen… Kein Wunder also, wenn einem zwischendurch die Decke auf den Kopf fällt. Und trotzdem ist es nicht „ohne,“ denn gänzlich ohne Erfahrung im Umgang mit Babys gibt es doch vieles, das Erstlingsmütter auf Trab hält.

Nicht zu letzt zehren auch die schlaflosen Nächte. Und es ist oft bis auf den Partner, der nur abends und am Wochenende da ist (und mitunter nachts seine Ruhe braucht weil er ja arbeitet), niemand da, der einem das Kind mal abnimmt…

Wo bleibt das Dorf?

das vielzitierte Dorf fehlt heute immer mehr. Das ist ein Manko. Und darin sehe ich auch den Grund, weshalb der Ruf nach mehr Kitas immer lauter wird. Und obwohl ich per se nichts gegen Kitas habe (nur dagegen, sein Kind Vollzeit an 7 Tagen die Woche ausschliesslich dort unterzubringen) – meine Kinder besuch(t)en die Kita auch an zwei Halbtagen – denke ich, dass es auch anders gehen sollte.

Nicht jedes Elternpaar hat das Glück, sich die Erwerbsarbeit so aufteilen zu können, dass auch die Erziehungsarbeit von beiden Elternteilen übernommen werden kann. Oder dass die Grosseltern in der Nähe wohnen, Zeit haben und bereit sind, ihre Enkelkinder regelmässig zu betreuen. Oder dass sich eine gute Tagesmutter/Nanny findet oder ein befreundetes Elternpaar, das die Kinder mit betreut. Sh. auch Familienpolitk

Wohnform der Zukunft?

Für mich sieht deshalb die Zukunft für Familien kein isoliertes Leben im Einfamilienhaus vor. Oder zumindest nur vereinzelt in gut verdienenden Familien, die sich z.B. eine Nanny/Au-pair leisten können und lieber unter ihresgleichen bleiben. Vielmehr sehe ich eine Wohnform, die einem Dorf gleicht. Grosse Überbauungen mit viel Grünflächen in der Peripherie, die Familien und allenfalls Rentner zusammenführt. Wohnhäuser- oder Blöcke, die in sich eine Gemeinschaft bilden – mit gemeinsamen Aufenthaltsräumen drinnen wie draussen. In denen beim Einzug mehr erwartet wird, als nur den Boden vor der eigenen Haustüre sauber zu halten. Das könnte dann so aussehen:

  • Die Bewohner leisten allesamt Betreuungsarbeit, die geschickt eingeteilt wird. Es sollte möglich sein, dass jeder Elternteil 3-5 Tage in der Woche arbeiten kann, während mindestens ein Elternteil an 2-3 Tagen die Woche Betreuungsdienst leistet, was z.B. auch einen täglichen „Mittagstisch“ beinhaltet.
  • Die gemeinschaftlich nutzbaren Räume können als Spielbereich genutzt werden, als Partyraum, Hausaufgaben- und Lernzimmer, Bibliothek, als Esszimmer für mehrere (sh. Mittagstisch) oder sogar als „Co-working-Space“ (sh. „Rockzipfelbüros“ und ähnliches für diejenigen Eltern, die von zuhause aus arbeiten). Ein gemeinsamer Gartenbereich mit Spielgeräten, Bänken, Feuerstelle und Beeten für den Anbau von Gemüse, Beeren etc. lädt zum Verweilen ein, zum Feste feiern und liefert Nahrungsmittel für die Gemeinschaftsküche.
  • Die Rentner haben Zeit. Diese setzen sie entweder in der Instandhaltung und Pflege von Haus und Garten ein, in der Kinderbetreuung oder in Diensten für die Gemeinschaft: Botengänge und Besorgungen, Haustierpflege etc. Die Ämtli können aufgeteilt werden. Umgekehrt sollen die Familien auch den Rentnern zur Seite stehen. Sei es beim Ausfüllen der Steuererklärung, dem Chauffieren zum Arzt, Lebensmittel vom Supermarkt mitbringen etc. Grössere Kinder können zudem auch mal im Haushalt zur Hand gehen…
  • Sharing- und Spar-Gedanke: Nicht jede Familie braucht einen Rasenmäher, eine Gefriertruhe, ein Auto oder ein Bobbycar. Viele Gegenstände werden gemeinschaftlich angeschafft und genutzt. Es sollte eine Kasse geben für solche Anschaffungen, in die alle einzahlen. Auch Banales wie zu kleine Kinderkleider können weitervererbt, Bücher getauscht werden. Der eigene Besitz wird kleiner…
  • Wichtig wäre ein Regelplan, an den sich alle halten, ein gemeinsamer Kalender und die Möglichkeit, dass jeder die öffentlichen Bereiche auf Vorreservation auch für private Feiern o.ä. nutzen kann. Noch wichtiger ist Toleranz und Offenheit.

Der Nutzen dieser Art von Lebens- und Wohnraum:

  • Der zeitliche und v.a. finanzielle Aufwand für die Kinderbetreuung wird geringer. Kein Elternteil muss erst noch über Umwege die Kinder in der Kita o.ä. abliefern, sondern kann direkt zur Arbeit. Die Kinder werden in der vertrauten Umgebung von ihnen vertrauten Menschen betreut und sind unter ihresgleichen.
    Auch Babysitter-Dienste am Abend sind nicht ausgeschlossen (Elternsprechtage, Sport, Eltern-Ausgang).
  • Die Kinderbetreuung verläuft entspannter. Jeder, der schon mal nebst den eigenen Kindern „Gspänli“ zuhause hatte, weiss, dass sich die Kinder oft von selbst beschäftigen und mehr Zeit für Haushalt bleibt. Win-Win.
  • Es muss nicht jeder immer für sich selber kochen: Zeit- und Kostenersparnis.

Obwohl als kleine Kommunen aufgebaut, hat doch jeder mit einer eigenen Wohnung inkl. separater Terasse/Balkon auch die nötige Privatsphäre. Ein fest eingebautes Schild an jeder Wohnungstür zeigt an, ob gestört (geklingelt) werden darf oder nicht („bitte nicht stören„). Dies gilt es zu respektieren, auch von den Kindern.

Offen und doch privat

Und, schwupps, haben wir das Dorf, das wir brauchen. Das uns den Kontakt mit anderen Menschen und den Kindern mit anderen Kindern bietet. Ein offenes Haus mit offenem Garten, das trotzdem Privatsphäre bietet. Eine Siedlung, die fast unbegrenzte Synergien bietet. Sofern man sich darum bemüht und wenn alle es wollen. Eine Siedlung, die es ermöglicht, Geld zu sparen und entsprechend vielleicht weniger zu arbeiten und mehr Freizeit und eine hohe Lebensqualität zu geniessen. – Vorausgesetzt, es gibt Menschen, die das auch so wollen… So sieht für mich die Zukunft für Familien aus… Vielleicht nur eine Utopie aber es würde das Leben ungemein erleichtern…

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  1. […] wollte ich erörtern… was sagt Ihr dazu? Das Thema geht natürlich noch viel weiter… ich habe mir bereits vor einiger Zeit auch Gedanken darüber gemacht, wie wichtig es wäre, statt al… damit auch in Zukunft für alle gut gesorgt […]

  2. […] möchte, manchmal vermisse ich die Nähe zu den Nachbarn in unserem alten Wohnblock und träume von Visionen wie dieser. Gottlob haben wir aber diese eine Nachbarsfamilie mit dem gleichaltrigen Kind, die es mir […]

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