Familieninterviews Symbolbild

"Ausruhen kann ich mich mit 50"

Polly Hollenstein kenne ich schon eine Weile. Zuletzt verband uns vor allem die Teilnahme an einem Outdoor-Trainingsangebot in der Region. Ich bewunderte es damals total, wie sie als Mama von drei Kindern, die sie mit kurzem Abstand zueinander bekam, eisern trainierte und heute eine richtige Sportskanone ist. Und noch viel mehr… aber lest selber. Ich habe ihr und ihrem Mann ein paar sehr „gwundrige“ Fragen über sie und ihr Familienleben gestellt und bekam entwaffnend ehrliche Antworten – ein wunderbares Interview einer tollen und aktiven Familie.
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Polly, Yves, mögt Ihr Euch kurz vorstellen? 🙂
Polly: 36 Jahre alt, geboren in Naihati (Indien) und mit neun Monaten von einer Schweizer Familie adoptiert. Aufgewachsen bin ich am Grabserberg. Ich liebe meine Familie, ich mag Sport und bin ein offener und lebensfroher Mensch.
Yves: 36 Jahre alt, aufgewachsen im Zürcher Oberland, Sportfanatiker (Laufen und Velo). Werde schwach bei Süssigkeiten, meiner Frau und den Bergen. Wenn ich einen schönen Berg sehe, verspüre ich den unweigerlichen Drang, da hinaufspringen zu müssen.

Wie habt Ihr Euch eigentlich kennen gelernt?
Yves
: Im Zug. Wir sassen im selben Abteil. Das erste Date fand dann in Rorschach beim Hafen statt. Am gleichen Abend haben wir uns das erste Mal geküsst.
Polly: Da hat mein Mann ja schon alles geschrieben. Stimmt, der erste Kuss war an diesem Abend, aber nicht romantisch am Hafen sondern in der Buchser Industrie. Aber das ist eine andere Geschichte 😉
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Ihr habt 3 Kinder relativ schnell aufeinander bekommen, wie war das für Euch?
Yves
: Wie ein Schleudergang. Alles ging Schlag auf Schlag und ich frage mich manchmal selber, wie wir das bis jetzt alles geschafft haben. Vielleicht darum, weil es einfach passiert ist und wir das nicht so geplant hatten.
Polly: ich habe es nicht so empfunden. Ich bin in die Mama-Rolle immer besser rein gewachsen. Mit jedem Kind wird man routinierter und gelassener.

Ich bin bekannt wie ein bunter Hund!

Yves ist hellhäutig und blond, Polly, Du bist eine in der Schweiz aufgewachsene Inderin. Werdet Ihr oder Eure Kinder manchmal darauf angesprochen? Kämpft Ihr da manchmal gegen Vorurteile oder sind die meisten Leute wohlwollend?
Yves
: Manchmal sieht man an gewissen Blicken schon, was diese Personen gerade denken. Aber im Grossen und Ganzen gibt es keine grösseren Probleme. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass unsere Kinder mal in der Schule wegen ihrer dunklen Mutter „gehänselt“ werden. Wir versuchen, ihnen genügend Selbstbewusstsein mit auf den Weg zu geben, damit sie damit umgehen können.
Polly: Ich bin in Grabs bekannt wie ein „bunter Hund“ 😀 Man weiss einfach, dass die Hollenstein-Kinder einen dunklen Teint haben. Wenn Gspänli unserer Kinder Fragen stellen oder auch wenn meine Kinder fragen , warum ich denn so braune Haut habe, gebe ich immer offen und ohne gross ein „Tamtam“ zu machen, Auskunft.
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Ihr musstet in den letzten Jahren öfter umziehen, Yves war eine Zeit lang arbeitslos, das war sicher, nebst drei kleinen Kindern, auch keine einfache Zeit. Hat Euch das alles stärker gemacht als Familie oder seid Ihr einfach froh, dass Ihr nun endlich angekommen seid?
Yves
: Für uns ist es eine unendliche Erleichterung, nun endlich angekommen zu sein. Das war in der Tat keine einfache Zeit und ich möchte sie nicht noch einmal erleben müssen. Doch sie hat uns auf jeden Fall auch stärker gemacht. Wenn du das als Familie durchstehst, schweisst dich das zusammen und macht dich gelassener für die all die kleinen Schwierigkeiten, die das Leben sonst so bereithält.
Polly: An diese stressige Zeit denke ich nicht gerne zurück. Es war eine riesige Belastungsprobe für uns als Famlie, für unsere Ehe und auch für unser Umfeld. Wie Yves schon geschrieben hat, hat dies uns aber stärker gemacht.

Ich finde es unglaublich, dass er immer so früh aufstehen muss.

Yves konnte unterdessen eine tolle Stelle antreten – nur leider in Zürich. Wie arrangiert Ihr Euch diesbezüglich?
Yves
: Ich habe das grosse Glück, dass ich einen sehr flexiblen Arbeitgeber habe und kann die viele Zeit im Zug zum Arbeiten nutzen. So bin ich eigentlich abends fast zur gleichen Zeit zuhause wie andere berufstätige Väter, ich stehe einfach sehr viel früher auf. Mein Wecker klingelt jeweils um 4.30 Uhr.
Polly: Ich finde es unglaublich, dass mein Mann immer so früh aufstehen muss. Ich habe früher ebenfalls in Zürich gearbeitet und gependelt. Ich kann darum ein wenig mit ihm mitfühlen. Es ist echt hart, aber wie gesagt, zum Glück ist der Arbeitgeber flexibel. Aber ich denke, dass er sich manchmal einen Job in der Nähe wünschen würde. Aber es müsste genau diese Stelle sein und die gibt es nun mal nur in Zürich. Ich bin sehr dankbar, dass er das so macht. So haben die Kinder ihren Papa mit wenigen Ausnahmen wenigstens 2 Stunden pro Tag.
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Wer entlastet Dich im Alltag mit den Kindern, Polly?
eine Eltern kann ich immer fragen wenns irgendwo brennt und ich Hilfe brauche. Ab und zu kommen auch Babysitter zum Einsatz. Da die Familie von meinem Mann nicht in der Ostschweiz wohnt, ist die Entlastung sehr einseitig.

Du hast nach der Geburt Eures 3. Kindes bald intensiv begonnen, zu trainieren – Outdoortraining, Laufen, Biken. Ein nächstes Ziel von Dir ist sogar ein Berglauf. Auch Yves ist ein passionierter Läufer und Ihr habt heuer schon beide für Euch allein einen Sporturlaub gemacht – wie schafft Ihr das nur? Haltet Ihr Euch beide jeweils den Rücken frei damit der andere sich die Zeit für den Sport nehmen kann?
Yves: Für uns ist es wichtig, dass jeder von uns auch „sein Ding“ machen kann. Und da uns beiden der Sport sehr wichtig, schauen wir, dass wir das einander ermöglichen. Meist ist es so, dass ich am Morgen und sie am Nachmittag geht – oder umgekehrt. Oder dass wir, wenn ich am Abend nach Hause komme, nur schnell die „Übergabe“ machen, damit Polly zum Sport kann. Ich kann unter der Woche auch meist über Mittag trainieren. Mein Büro liegt direkt am Fusse des Üetlibergs – also ideal für einen Läufer. Für jeden von uns hat der Tag 24 Stunden und Sport machen zu können, ist vor allem eine Frage der Organisation. Was dabei oft zu kurz kommt, ist der Schlaf. Am Wochenende gehe ich oft auch frühmorgens eine Runde laufen, dass keine oder nur sehr wenig wertvolle Familienzeit verloren geht. Gerne würden wir ab und zu auch gemeinsam Sport machen, aber das ist i.d.R. nicht möglich. Unser Traum ist eine gemeinsame Bikewoche – ohne Kinder. Aber dafür müssen wir uns wohl noch ein paar Jahre gedulden.

Ich sammle meine Kräfte beim Sport. Wenn ich mal zwei Tage nichts machen kann, werde ich „hässig“. Es gibt mir Power für alles und ist Zeit nur für mich

Polly: Früher habe ich lieber im Liegestuhl Kräfte gesammelt und seit einem Jahr sammle ich meine Kräfte beim Sport. Ich hätte das nie von mir selber gedacht. Aber wenn ich mal zwei Tage nichts machen kann, werde ich hässig und will Sport treiben. Es gibt mir Power für alles. Und es ist Zeit nur für mich.
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Wie schafft Ihr es, noch Zeit für Euch als Paar zu haben?
Yves: Was ist das?!? Nein, es ist schon so, die gemeinsame Zeit für uns als Paar ist – neben dem Schlaf – dasjenige, was bei uns am meisten zu kurz kommt. Wir versuchen, so gut es geht, uns kleine Inseln zu schaffen. Das kann ein gutes Gespräch sein, wenn die Kinder schlafen oder gerade einmal friedlich spielen. Oder dann natürlich die gemeinsame Zeit für uns als Familie.
Polly: Das kommt klar zu kurz. Auch weil wir unsere Kinder nicht wirklich abgeben können. Ich würde sehr gerne wieder mal ein Weekend irgendwo mit meinem Mann verbringen. Einfach nur wir zwei. Aber da ist noch Geduld gefragt.

Da Ihr schon sportlich geurlaubt habt, macht Ihr trotzdem noch Ferien als Familie irgendwo oder bleibt Ihr zuhause?
Yves
: Wir hatten im Juli einen gemeinsamen Familienurlaub im Ravensburger Spieleland und im Tirol. Im Oktober gehen wir dann noch gemeinsam nach Bergün.
Polly: Diese Sommer-Kurzferien waren sehr schön. Ich finde, sobald man aus dem Alltag raus ist, sind es wirklich Ferien. Zu Hause ist man doch immer mal wieder etwas am haushalten und werkeln und es fühlt sich nicht wie Ferien an. Darum gehe ich gerne weg. Es muss gar nicht weit sein.

Das grösste Kompliment für mich ist, wenn die Gäste wieder kommen

Polly, Du hast in Eurem neuen Zuhause einen Raum, das „LOKAL“, in dem Du regelmässig für Gäste und besondere Anlässe kochst. Auch bietest Du einen Mittagstisch für Kinder und andere Interessierte aus der Region an. War das Kochen schon immer eine Leidenschaft von Dir?
Ich koche für mein Leben gern. Meine Kinder könnten zwar von Teigwaren und Chicken Nuggets leben, aber ich nicht 😀 Es ist toll, zu erfahren, dass mein LOKAL so gut ankommt und ich bin gespannt, was noch kommt. Ich habe gemerkt, dass vor allem meine Indischen Abende sehr gut ankommen. Ich plane nun, dies jeweils einmal im Monat anzubieten. Das grösste Kompliment für mich ist, wenn die Gäste wieder kommen. Was will ich mehr?
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Unterstützen Dich Deine Kinder beim Kochen oder spielen sie dann in Ruhe?
Zum Teil kann ich vorbereiten, wenn sie da sind, muss aber immer mal wieder wegspringen. Daher sind die meisten Anlässe am Weekend. So kann mein Mann dann auf die Kinder aufpassen. Ohne ihn wäre es kaum möglich, ganze Buffets vorzubereiten. Ich habe aber auch liebe Freundinnen, die mich immer wieder unterstützen und helfen.

Die Stelle in einem Laden hast Du nun aufgegeben?
Ja. Das LOKAL ist mir wichtiger und braucht auch immer mehr Zeit. Ich hätte nicht gedacht, dass es so laufen wird. Auch habe ich zweimal pro Woche ein Tageskind bei uns zu Hause. So gibt es immer etwas zu tun. Ich kann nicht auf allen Hochzeiten tanzen. Auch das musste ich lernen.

Wie muss man sich das vorstellen mit dem LOKAL? Planst Du jeweils die Mahlzeiten und kaufst dann gezielt ein oder läuft das spontan? Und woher nimmst Du Deine Ideen?
Ich stöbere in Zeitschriften, im Internet, ich frage Köche in Restaurants, wenn mir etwas schmeckt, ich gehe mit offenen Augen durch die Welt. Ich finde überall Ideen und probiere gerne aus. Mal klappts und manchmal auch weniger. Ich lerne gern. Ich lade auch zu Testessen und bin froh um ehrliche Kritik. Das hilft mir weiter.
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Yves, Du bist als Vater auch sehr präsent, unternimmst viele Sachen mit den Kindern damit Polly zum Sport kann. War es für Dich immer selbstverständlich, Dich auch intensiv um die Kinder zu kümmern, obwohl Du jeweils sehr engagiert im Beruf warst und bist?
Ja und nein. Ich finde, es ist eine Aufgabe, in die man hineinwächst. Ich wollte immer eine Familie und es war für mich immer klar, dass ich mich dann ebenso um die Kinder kümmern werde. Doch es ist nicht immer einfach, den Spagat zwischen Beruf, Familie und Sport zu meistern. Was einem wirklich hilft, ist Gelassenheit. Man ist nicht perfekt und Fehler gehören dazu. Wenn man aber überall für sich das Optimum rausholt, darf man stolz und zufrieden sein. Die Kinder können einem so viel zurückgeben, wenn man ihnen Zeit und vor allem Präsenz schenkt. Sie merken sofort, wenn du zwar mit da bist, aber mit dem Kopf irgendwo anders. Es sind wunderbare Momente, wenn es einem gelingt, sich voll und ganz auf die Kinder einzulassen. Ich nenne sie die „Flow-Momente“. Aber ich muss zugeben, das gelingt mir nicht immer gleich gut.

Wir sind keine Familie, die lange still sitzen kann.

Familie, Beruf, Partnerschaft und Sport – wann ruht Ihr Euch mal aus?
Yves
: Zugegeben, manchmal laufen wir beide echt auf dem Zahnfleisch. Doch irgendwie schafft man es immer wieder, sich zu erholen. Es ist ja nicht so, dass alles nur Belastung ist. Familie oder der Beruf kann einem auch sehr viel Befriedigung geben. Und wenn einem etwas Spass macht, dann empfindet man vielen Stress gar nicht negativ. Das Gleiche beim Sport. Natürlich bin ich körperlich kaputt, wenn ich drei Stunden über alle Berge gerannt bin. Doch mir gibt das eine enorme innere Zufriedenheit und Ausgeglichenheit. Wir sind sowieso nicht eine Familie, die lange still sitzen kann. Haben wir an einem Sonntag mal nichts vor, kommt spätestens am Nachmittag die Frage: „Und was machen wir heute noch?
Polly: Stimmt. Die Tage und Wochen vergehen wie im Flug. Es ist 22.45 Uhr. Vorher habe ich die Kinder ins Bett gebracht und bin selber fast eingeschlafen weil letzte Nacht nur vier Stunden drin gelegen sind. So vergehen die Tage und wenn ich daran denke, dass am Montag Leena in die 1. Klasse kommt, David mit dem 1. Kindergarten beginnt und Nino bereits in die Spielgruppe darf, dann denke ich, die Jahre vergehen wie im Flug. Jetzt sind zuerst meine Kinder dran. Ausruhen kann ich mich mit 50. Darauf freue ich mich.
Polly, Yves – vielen Dank für Eure ehrlichen Antworten, in denen sich wahrscheinlich viele wiederfinden, die es gerade ähnlich „streng“ haben 😉
Fotos: Familie Hollenstein
Hier gibt es Infos zum LOKAL Grabs

Schaut gerne auch bei meinen anderen Familien-Interviews rein 🙂

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