Gestern Abend war ich im TAK (Theater am Kirchplatz) in Schaan, denn ich wurde darauf aufmerksam, dass Remo Largo dort für einen Gesprächsabend vor Publikum eingeladen war. Remo Largo! Das Buch „Babyjahre“ war nach der Geburt des Grossen eines der wichtigsten Bücher für mich. Ich musste da einfach hin!
Es war nicht schwer, auch eine Freundin davon zu überzeugen und es stellte sich dann heraus, dass es noch viel mehr Remo Largo „Fans“ in meinem Bekannten- und Freundeskreis gab – der Saal war voll! 😉
Als einer der Gesprächsmoderatoren dann erklärte, dass dies vermutlich einer der letzten öffentlichen Auftritte von Remo Largo war, war ich umso froher, dabei sein zu und dieser Koryphäe zuhören zu dürfen. Eins vorweg: der Abend war viel zu kurz, ich hätte noch viel mehr von ihm erfahren wollen.
Ein Klassiker, der in jede Eltern-Bibliothek gehört
„Babyjahre“ – ich hatte irgendwo gelesen, dass dieses Buch ein Standardwerk sei für Eltern, und kaufte es. Das war vor über 8 Jahren und es hat sich bis heute bewahrheitet, auch wenn es mittlerweile die ganzen schönen, bindungsorientierten Bücher von Nora Imlau über Susanne Mierau bis zu Julia Dibbern und Nicola Schmidt gibt.
Largos Babyjahre bleibt ein Klassiker, der in jede gut sortierte Eltern-Bibliothek gehört. Er zeigt die Entwicklung vom Baby bis zum Kleinkind auf, unterteilt in verschiedene Bereiche wie Sprache, Spielverhalten, Bindung etc. Wann immer ich Fragen hatte in punkto Entwicklung meines Sohnes, konsultierte ich das Buch und erhielt Antworten.
Wer die Bücher von Remo Largo nicht kennt, der hat vielleicht schon von seinen Longitudinalstudien gehört. Ich will hier nicht zu sehr ausholen, denn natürlich stellte sich der „berühmteste Kinderarzt der Schweiz“ gestern selber ausführlich vor und seine Biographie findet ihr bei Interesse auch im Internet.
Aber die Daten, die mit dieser Studie (noch! Sie befindet sich in der letzten Phase bei den Senioren, die damals als Babys in die Studie aufgenommen wurden) erhoben wurden, sind von unschätzbarem Wert.
„Das passende Leben“ – Largos aktuellstes Werk
Ich war erst nicht sicher, ob ich über diesen Abend etwas schreiben würde, aber irgendwann musste ich einfach Notizen in mein Handy tippen und am Ende war ich so begeistert, dass ich fand, das Gespräch mit Remo Largo muss hier unbedingt Eingang finden.
Meine Notizen sind aber unvollständig und mein Stillhirn vergisst schnell und viel, so dass Ihr, falls Ihr selber anwesend wart, sehr gerne korrigieren u/o ergänzen dürft – schreibt dafür einfach in die Kommentare, ich greife es dann auf. 🙂
Im Zentrum des Gesprächs war natürlich Remo Largos aktuellstes Werk „Das passende Leben“. Mangels Zeit habe ich es mir bisher nicht gekauft, aber meine Freundin nahm am Abend eines mit und ich werde es sicher mal ausleihen dürfen.
Leider habe ich nicht daran gedacht, eins meiner Bücher mitzunehmen, ich hätte schampar gern eine Widmung mit nach Hause genommen!
Kinder einfach machen lassen…
„Wir müssen den Kindern nichts beibringen, sie entwickeln sich selbst„, sagt Largo. Es ging darum, womit der Mensch auf die Welt kommt und welches Potential er hat, gerade auch in Bezug auf die Schule.
Largo ist der Meinung, dass wir alle ein bestimmtes Potential haben, das unterschiedlich gross ist, je nach Bereich, z.B. in Mathematik u/o im Sport, und dass man dieses nicht überschreiten kann.
Wichtig sei, dass jedes Kind mit einem guten Selbstwertgefühl aus der Schule komme und Selbstwirksamkeit erleben könne. Als besonders gutes Beispiel dafür, dass Schule auch funktionieren kann, wenn man nicht stur einem Plan folgt, nannte er die Villamonte Schule.
Eine beispielhafte Schule
Entstanden aus einer Montessori-Schule wurden den Kindern dort nach und nach mehr Freiheiten geschenkt. Die Kinder bestimmen laut Largo jeden Tag auf’s Neue, was sie machen. Schaue man sich Jahre später an, was aus den Kindern geworden sei, so hätten diese ganz normale Berufe erlernt.
Lehrer, Arzt, etc. Aber es gab einen grossen Unterschied zu Kindern aus normalen Schulen: „Diese Kinder aus der Villamonte Schule sind extrem sozialkompetent geworden und haben ein hohes Selbstwertgefühl entwickelt„, so Largo.
Als Volksschule sei dieses Konzept jedoch nicht umsetzbar, da die Schulleiterin nur mit enormem Einsatz dieses Konzept entwickeln konnte. Trotzdem sagt Largo: „Alle Kinder wollen lernen und die Lehrer haben mehr Freiheiten, als sie bereit sind zuzugeben.„
Largo ist für autonome Schulen
Largo wünscht sich, dass die Volksschule kein Staatsmonopol mehr ist, sondern Eltern und Lehrer die Wahlfreiheit haben. Er stehe für autonome Schulen ein. Jeder Lehrer mit entsprechender Qualifikation sollte selber eine Schule gründen können und die Eltern sollten die Wahl haben, auf welche Schule sie ihr Kind schicken.
Die Schulen werden finanziert, so dass es keine Privatschulen für Privilegierte gibt. Zudem sollte jede Schule einen bestimmten Prozentsatz an Kindern mit Lernschwierigkeiten etc. aufnehmen. Dies sei ein System, das in Schweden funktioniere und für den Staat nicht teurer sei.
Förderung ist die existenzielle Angst der Eltern, dass ihre Kinder es einmal schlechter haben könnten als sie selber.
Dass Förderung nichts bringt, weil Kinder eben nur ein bestimmtes Potential erreichen können, bekräftigte Largo damit, dass 40% der Kinder von Akademiker-Eltern trotz allen Förderns keine Akademiker werden.
Kinder nicht überfordern
„Wer seine Kinder bis zum Wahnsinn fördern will, tut ihnen keinen Dienst. Das ist schlecht. Förderung ist die existenzielle Angst der Eltern, dass sie es einmal schlechter haben könnten als sie selber! Und das ist Gift…„, so Largo.
Niemand solle die Wertschätzung dem Kind gegenüber von seinen Leistungen abhängig machen. Eltern sollen betonen, was das Kind kann und sich daran freuen und nicht daran, was es nicht gut kann. Würde man ein Kind zu sehr überfordern, ginge es dem Kind schlecht dabei.
Für ein optimales Entwicklungs-Umfeld sei es zudem enorm wichtig, dass Kinder nicht alleine aufwachsen. Kinder seien in der Menschheitsgeschichte schon immer mit anderen Kindern zusammen gewesen.
Aus dem Publikum angesprochen auf die leidige Frage nach den Bildschirmmedien sagt Largo: „Kinder zwischen 2 und 5 Jahren sitzen täglich 1-2 Stunden vor dem Fernseher und dies, ohne dass sie es sich so ausgesucht haben. Nein, es waren die Eltern, die sie davor gesetzt haben weil sie eine Pause brauchten.“
Wir sollten uns alle fragen, was es mit den Kindern gemacht hätte, wenn sie in dieser Zeit über 1000(!) Stunden mit anderen Kindern zusammen sein hätten können, anstatt vor dem Bildschirm zu sitzen. Und die Medien seien dabei nicht das Problem, sondern die Eltern, da sie an dieser Stelle etwas leisten müssen.
Lebensgemeinschaft statt Einsamkeit
Die Frage, woher man heutzutage andere Kinder nehmen soll, beantwortet Largo damit, dass wir mehr zusammen leben sollten – in einer Lebensgemeinschaft: So könnten wir Kinder und alte Menschen wieder selber betreuen. Das sei eine Vision und diese habe Zukunft.
Denn ein Grundbedürfnis des Menschen sei Geborgenheit und nicht, den Lebensabend alleine in einem Altersheim verbringen zu müssen. Leider habe der Mensch im Laufe der Jahre sich selber Lebensbedingungen geschaffen, die ihm immer weniger entsprechen würden.
Remo Largo träumt von einer Lebensgemeinschaft
Ein Blick auf die Tierwelt, die Largo auch mehrfach erwähnte, da er den Menschen nicht für etwas „besonderes“ hält, bestätigt das. Erst mit dem sesshaft werden des Menschen habe der Fortschritt begonnen, der auch eine Kehrseite hat…
In einer Lebensgemeinschaft würden alle voneinander profitieren, die Senioren können den Kindern vorlesen, die Kinder leisten ihnen Gesellschaft. Meine Rede, sage ich nur, ich habe diese Vision selber schon mehrmals hier im Blog beschrieben und obwohl wir selber nicht so leben, hoffe ich, dass es sich in Zukunft etablieren wird:
Lest gerne rein, es ist wirklich fast 1:1 das, was auch Largo gestern propagierte.
Danke für deine Zusammenfassung des Abends. Ich hoffe das Buch wird wieder ein Bestseller!