Ich bin stinksauer. Ernsthaft… Nachdem diverse Schweizer Blättli heuer mit Kolumnen immer kinderloser Autoren plötzlich der Meinung waren, sie könnten/müssten/sollten ihren ganz subjektiven Senf zum Thema Stillen ins Zeitungspapier drücken, was ich hier stets wortlos, in den sozialen Medien aber energisch versucht habe, zu unterbinden, bläst doch letzte Woche die NZZ am Sonntag, kurz NZZaS, während der Sauren-Gurken-Zeit ins selbe Horn.
Da kann ich nicht länger still bleiben. Ausgerechnet die NZZ! Eine gestandene Schweizer Zeitungsredaktion, die bei mir bis dato eigentlich ein hohes Ansehen genoss und die ich während meiner Studienzeit immer wieder gerne las. Tempi passati! Ich kann mir nur vorstellen, dass die Redaktion unterklimatisiert in der Hitze schmorte, dass ein derart subjektiv gefärbter, schlecht recherchierter und polemischer Artikel es ins Blatt geschafft hat. Da sass wohl die Meute der wenigen, die noch nicht in den Urlaub verreist waren, an der täglichen Themenbesprechung, ich kann es mir vorstellen, und nachdem bekannt war, dass in Zürich die Muttermilch erforscht werden soll, äusserte sich vermutlich Katharina Bracher: „Dazu fällt mir ein, dass ich letztens eine Freundin im Spital besucht habe und…“ „Ja, schreib‘ das mal auf, das rüttelt die sommerfaulen Leser auf„, so der Ressortleiter. Und, nein, ich verlinke den Artikel hier bewusst nicht, er bekommt schon so genug Aufmerksamkeit…
Angriff auf die LLL – goht’s no!?
Und so schreibt die kinderlose Bracher unreflektiert einen Artikel über den von ihr wahrgenommenen, sogenannten „Still-Terror“ auf. Sie greift allen Ernstes die weltweit tätige Organisation „La Leche League“ (LLL) an, die Mütter um den gesamten Globus in wertvoller Freiwilligenarbeit in Punkto Stillen unterstützt, indem sie die Stillberaterinnen als „Still-Fanatiker“ bezeichnet. Sie publiziert zudem falsche Informationen (keine Ahnung woher der Satz kommt, dass die LLL Beikost erst ab 10 Monaten empfehle, das ist schlicht nicht wahr). Dass die UNICEF, die WHO und die LLL das Stillen empfehlen, setzt sie mit Terror gleich (vielleicht sollte die Gute mal für die Kriegsberichterstattung eingesetzt werden, liebe NZZ, dort wäre sie vielleicht gut aufgehoben).
Die Autorin also besucht wahrscheinlich zum ersten mal eine frisch gebackene Mutter in einem stillfreundlichen Spital. Sie ist erschrocken über den Zustand ihrer Freundin, die offenbar gerade eine langwierige Geburt hinter sich hatte (die Autorin kann es auch nicht lassen, hier kurz einen Seitenhieb auf die Hebamme zu machen, die ihrer Meinung nach wohl sogleich zum Kaiserschnitt raten hätte sollen). Die Freundin also ist fix und fertig von den Strapazen der Geburt und heult erst mal los (was völlig normal ist, man nennt das Baby-Blues, was v.a. hormonell bedingt ist und so gut wie jede Mutter einmal durchmacht, zumindest habe auch ich trotz weniger strapaziöser Geburten mindestens 3-5 Tage lang immer wieder Rotz und Wasser geheult). Die Autorin lässt sich dann kurz von einer Krankenschwester darüber unterrichten, dass Nähe Priorität hat (Rooming-in also, was heutzutage in jeder Geburtenabteilung so gehandhabt wird) und Stillen wichtig ist. Von dieser Aussage schliesst sie plötzlich auf einen weltweiten Still-Terror und die Hirngespinste galoppieren mit ihr durch.
Das Wochenbett ist keine Wellnesskur
Das Wochenbett im Spital hielt die Autorin offenbar für eine Wellnesskur und ist erschrocken darüber, dass man dem Balg nicht einfach auf dem Schwesternzimmer drei Tage lang den Schoppen gibt damit die Mutter ebenso lang durchschlafen kann. Äh, ja… sie schreibt es nicht so, aber man ahnt es. Mit der Bindungstheorie, die Grundlage für die eben propagierte Nähe und das Rooming-in sowie das Stillen ist, setzt sich die Autorin, wohl aus Zeitmangel, nicht auseinander. Stattdessen zitiert sie irgendwann Badinter, eine französische Soziologin mit fragwürdigen Ansichten zum Thema Mutterschaft und die zufällig auf der Lohnliste eines Konzerns stand, der u.a. Milchpulver für Babys produziert(!). Ausserdem schlägt sie in die immer wiederkehrende Kerbe „auch mit Pulvermilch werden Kinder gross“ und versucht darzulegen, dass wohl sämtliche Studien, welche die Vorteile der Muttermilch preisen, umstritten sind, zumindest deren Aussagekraft.
Gesellschaftlicher Druck zur Arbeit
Dass Stillen schlicht natürlich und praktisch ist, trotzdem aber niemand mit vorgehaltener Pistole dazu gezwungen wird (nein, auch nicht in stillfreundlichen Spitälern, sonst würden sie wohl stillobligatorisch heissen und nicht stillfreundlich…). Ihre thriumphale Aussage: „Wäre Muttermilch wirklich unerlässlich, wäre Frankreich überwiegend von Idioten mit schwachem Immunsystem bevölkert.“ Dabei stillen Französinnen durchaus ihre Kinder, was der Autorin vielleicht entgangen ist, nur eben meist nur 3 Monate, weil sie danach in den Job zurück kehren (was beileibe nicht jeder Französin passt, auch hier herrscht nämlich gesellschaftlicher Druck, aber das ist ein anderes Thema). Nun ja, ich könnte also genau so gut diese Behauptung aufstellen: „Nirgendwo in Europa ist die Jugendkriminalität höher als in Frankreich und in keinem anderen Land gehört der Besuch beim Psychiater so zum täglichen Brot wie anderswo der Gang zur Kosmetikerin. Das liegt eindeutig an der kurzen Stilldauer und der schon frühen Verwahrung der bébés in der ganztägigen crèche.“ Ja, ich kann es auch auf die Spitze treiben, wenn ich will, Frau Kollegin Bracher.
Unterstützung beim Stillen – und Abstillen
Einzig der letzte Satz enthält ein Quäntchen, dem ich zustimmen kann: Es gibt zwei Wege, sein Kind zu ernähren, mit der Brust oder mit der Flasche. Und die Entscheidung jeder Mutter, egal aus welchem Beweggrund, ihr Kind zu stillen oder nicht, geht niemanden etwas an, ausser sie selbst. Die Voraussetzung für diese Entscheidung ist aber, dass die Mutter genügend Unterstützung erhält, um die Entscheidung überhaupt treffen zu können (sofern sie nicht vor oder direkt nach der Geburt schon weiss, dass sie nicht stillen will). Und hier setzen das stillfreundliche Spital und die LLL ein. Eine Mutter, die es mit dem Stillen versuchen will, aber Probleme damit hat (Milcheinschuss lässt auf sich warten, wunde Brustwarzen, Baby saugt nicht gut), soll Hilfe erhalten. Oft sind diese Startschwierigkeiten bald überwunden und das Stillen spielt sich wunderbar ein. Wenn nicht, dann unterstützt das Spitalpersonal (oder die LLL) auch den Abstillprozess – mit Sicherheit. Und ohne Pistole auf der Brust (haha). Und auch die Gesellschaft wird es tolerieren. Aber die ist erst mal egal. Denn, wie erwähnt, geht es nur die Mutter und ihr Kind etwas an. Gesellschaftlichen Druck gibt es kreuz und quer durch alle mütterlichen, elterlichen, ja menschlichen Themen.
Eltern stehen immer in der Kritik
Der von der Autorin (und sich mir immer noch nicht erschliessende) wahrgenommene Stilldruck (ich bin immer noch der Meinung, dass Stillen hier einfach mit Bindung gleichgesetzt wurde, dabei ist Stillen nur ein Puzzle-Teil von vielen, welche die Bindung ausmachen) kann nicht um Welten grösser sein als z.B. der Impfdruck, der Natürlich-gebären-Druck und jeglicher Erziehungs-Druck, dem sich Eltern immer mal wieder stellen müssen. Zumal das Thema Stillen in der Regel nach spätestens einem Jahr für Aussenstehende kaum mehr wahrnehmbar ist. Der Umgang mit seinem Kind aber, ja das Kind und die Eltern selbst, werden jahrelang wahrgenommen, oftmals kommentiert und schlimmstenfalls von Aussenstehenden kritisiert.
Also, verehrte Medien landauf und landab, ich will das Wort „Stillen“ und „Terror“ nie mehr im gleichen Satz hören! Egal, wie sauer die Gurken sind. Leben und leben lassen. Und wenn man das Thema unbedingt thematisieren muss, dann bitte nicht derart subjektiv und schlecht recherchiert. Oder ich muss die NZZ auf die gleiche Stufe setzen wie den Blick. Seid Euch sicher, der Blick wird von vielen gelesen, bringt mehr solche Artikel und ihr könnt mehr Abos verkaufen. Allerdings werdet Ihr dafür andere verlieren. Your choice! Ach ja, ich hätte da schon ein paar Vorschläge für weitere Headlines:
- „Weib, du sollst natürlich gebären“ mit dem Untertitel „ein Kaiserschnitt hat noch keinem geschadet. Über den Geburtsterror„
- „Weib, lass Dein Kind ruhig schreien“ mit dem Untertitel: „Das hat früher ja auch keinem geschadet! Wider dem Baby-Terror!„
- und in Anspielung auf die zitierte Aussage von Badinter, die Frau werde zur Schimpansin degradiert: „Schimpansen-Mütter säugen und tragen ihre Nachkommen monatelang und lassen sie bei ihnen schlafen. Von abartigen Verhaltensweisen in der Natur. Autorin Katharina Bracher lebte ein Jahr lang mit den Tieren und kehrte völlig verstört zurück.„
Damit, NZZ, solltet Ihr die Saure-Gurken-Zeit gut überstehen…
Keine Stillfanatiker!
Ich hoffe es nimmt mir keiner Übel, auf diese Weise Dampf abgelassen zu haben. Das ist meine persönliche Sichtweise dieses Artikels, ihr könnt selbstverständlich eine andere vertreten.
Der Kollegin Bracher empfehle ich, sollte sie je eigene Kinder in Erwägung ziehen (es liegt zwar nahe, dass sie nach ihren traumatischen Erfahrungen im stillfreundlichen Spital davon absehen könnte), bereits in der Schwangerschaft dem ein oder anderen Stilltreffen der La Leche League beizuwohnen. Es könnte ihre Einstellung verändern. Zumindest wird sie dann hoffentlich erkennen, dass es sich bei den stillenden Müttern (und nur Mütter sind es) der La Leche League nicht um Stillfanatiker handelt, sondern einfach um Frauen, die dort helfen möchten, wo Hilfe erwünscht ist. Meine Wenigkeit ist übrigens Mitglied der LLL. Ich schreibe für deren Zeitschrift WirbelWind und verdanke es u.a. einer der vielen ehrenamtlich tätigen Müttern, das Stillen nicht voreilig aufgegeben zu haben. Ich habe selber die Ausbildung zur Stillberaterin in Angriff genommen (aber wegen Zeitmangels wieder abgebrochen) und führe sporadisch in meiner Heimat, zusammen mit einer Kollegin, Stilltreffen durch – ganz zwanglos und völlig undogmatisch. Wenn Sie möchten, Frau Bracher, können Sie selbstverständlich gerne mal vorbeischauen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, viel Erfolg für ihre weitere, journalistische Laufbahn und bitte Sie, in Zukunft ein wenig mehr Zeit und Engagement in die Recherche zu stecken – auch wenn Sie von Redaktionsschluss-Terror geplagt werden…
Also ich fand den NZZ-Artikel nicht schlecht. Ich bin auch für Stillen und habe meine zwei inzwischen erwachsenen Kinder ebenfalls gestillt. Aber ich bin gegen diese neue Mentalität „nur eine stillende – und zwar möglichst lange stillende – Mutter ist eine gute Mutter“. Eine gute Mutter definiert sich wohl kaum darüber, ob sie ihr Baby stillt oder anderweitig sorgfältig ernährt. Mir missfällt der Missionierungseifer der Stillmütter und der gesellschaftliche Druck, der dadurch auf die nicht oder wenig stillenden Frauen erwächst. Und ja, ich finde sogar, dass stillende Frauen durchaus ein weig Diskretion walten lassen sollten, wenn sie ihr Kind in der Öffentlichkeit oder in einem Restaurant an die Brust legen. Auch wenn dieser Wunsch vermutlich einen neuen Aufschrei in der Still-Liga auslöst.
Es tut mir wirklich leid für jeden, der schlechte Erfahrungen diesbezüglich macht. Da ich keine Flasche gab, kann ich natürlich nicht mitreden. Ich kann lediglich sagen, welche Erfahrungen ich im Spital gemacht habe als ich selber massive Stillprobleme hatte. Und da kann ich nur sagen, dass mir viele sogar rieten, doch abzustillen wenn es so ein „Krampf“ sei. Ja, das ist wieder ein anderes Thema… darüber wurde aber auch schon so viel geschrieben, dass ich nicht auch noch meinen Senf dazugeben mag. Ich kann hier auch nur von mir sprechen. Ich habe stets diskret gestillt und kann mir auch nicht vorstellen, dass es Mütter gibt, die demonstrativ ihre Brüste in der Öffentlichkeit „heraushängen“ lassen. Aber offenbar gibt es ein paar wenige Exemplare, die das tatsächlich so handhaben, sonst wäre es nicht ein immer wiederkehrendes Thema. Ich vertrete schlicht die Ansicht, dass eine Mütter ihr Kind überall und jederzeit stillen sollen dürfen ohne einen negativen Kommentar zu ernten oder gar des Ortes verwiesen zu werden – immer vorausgesetzt sie stellt sich dabei „normal“ an und stellt sich nicht mit entblösster Brust auf den Tisch bevor sie stillt, überspitzt gesagt. Beim ersten Kind habe ich mich im Café meist völlig unnatürlich verrenkt und zum Bank hin verdreht und das Baby immer so gehalten, dass der Kopf in der entscheidenden Millisekunde, in der ich die Brust entblösste (natürlich immer in passender Stillbekleidung) auch ja alles verdeckte (oder noch ein Tuch drüber geworfen), dass das Prozedere wahrscheinlich mehr auffiel als es sollte. Hätte ich ganz natürlich das Baby hergenommen und gestillt, hätte es wahrscheinlich kaum einer bemerkt. Aber man lernt ja aus Erfahrung 😉 Und dezent stillen ist ja wirklich keine Kunst. Es soll sich einfach jede trauen, es zu tun, denn je nervöser und verkrampfter man ist, aus Angst vor Blicken und Kommentaren, desto wahrscheinlicher misslingt der dezente Teil, sh. oben 😉
Und was ist schon eine gute Mutter? Den Begriff sollte man einfach streichen. Die Mutterschaft besteht aus so viel mehr und dauert viel, viel länger an; die Stillzeit macht ja nur einen Bruchteil aus und kaum ein Kind erinnert sich daran, es sei denn die Mutter hat wirklich sehr lange gestillt. Ob wir eine gute Mutter waren, sagen oder zeigen uns unsere Kinder irgendwann, irgendwie. Und das allein ist dann von Bedeutung.
Danke!!! Wunderbar geschrieben!
Danke! 🙂
Vielen Dank!