Mama putzt Kind Nase

Wie kinderfreundlich sind wir noch?

Beim Aufarbeiten älterer Blog-Beiträge bin ich auf diesen hier gestossen. Er schloss an einen Alltags-Bericht an, wo er eigentlich gar nicht hin gehörte. Denn eine kinderfreundliche Gesellschaft haben wir heute noch nicht und deshalb gebe ich diesem Thema von 2014 jetzt einen extra space

In letzter Zeit bin ich öfter über „kinderkritische“ Artikel gestossen (im Sinne von: Kinder machen unglücklich etc.). Das hat mich beschäftigt. Es gab auch Blog-Beiträge, die das Thema aufgriffen (und natürlich dagegen sprachen, so auch ich)… Ich verstand dies auch im Zusammenhang mit der alljährlichen Klage über den Geburtenrückgang. Wobei ich persönlich dermassen viele Schwangere und Babies kenne und sehe und bald mehr Familien mit mehr als zwei Kindern, dass ich das Gefühl habe, es müsste so richtig boomen… Aber das ist wohl subjektiv… 😉

Sind Kinder noch erwünscht?

So liest man ja immer öfter den Ruf nach mehr Kitas, welche die Leute wieder dazu bringen würden, mehr Kinder zu bekommen. Ich glaube jedoch nicht, dass darin ein signifikanter Zusammenhang besteht. Vielmehr glaube ich immer fester daran, dass wir einfach in einer sehr kinder-unfreundlichen Gesellschaft leben, verglichen mit anderen Ländern. Wie z.B. im Nahen Osten, den Autorin Susanne Fischer in „Ansichten einer späten Mutter“ beschreibt.

Die Frage beim Kennenlernen, so schreibt sie, lautete in diesen Ländern nie „Hast Du Kinder?“ sondern „Wie viele Kinder hast Du?“ Dass ein Mensch in ihrem Alter (Ü40) keine Kinder hat, hinterliess regelmässig völlig perplexe Gesichter. Ganz anders hier, wo für Singles jeden Alters der rote Teppich ausgelegt wird. Restaurants mit Wickel-Möglichkeit sind dünn gesät, Spielecken in denselbigen kaum zu finden und nun schliesst auch noch die Geburtsabteilung in Liechtenstein (wenn auch aus anderen Gründen)…

Ich bewege mich natürlich in der Freizeit fast ausschliesslich an Orten, an denen Kinder erwünscht sind (Spielplätze, Hallenbad, Kinderecke im Restaurant des Grossverteilers). Dennoch habe ich das Gefühl, dass auch hier die Kinder nicht so sein können wie sie sind. Während ausländisch-stämmige Mütter ihre Kinder meist schalten und walten lassen ohne von ihren Kaffee-Gesprächen aufzuschauen, bewegen sich die europäischen Mütter stets in unmittelbarer Kindes-Nähe.

Kinder werden ständig in Schranken gewiesen

Und das nicht nur, um sie vor Stürzen oder fliegendem Sandspielzeug zu bewahren (Stichwort Helikoptereltern), sondern v.a. um zu vermeiden, dass die Kinder die gesellschaftlich definierten Grenzen überschreiten. Indem sie z.B. laut werden, andere Kinder hauen, ins Gras pinkeln oder sich in der Chips-Packung von anderen zu bedienen. Und so hört man auch an von Kindern gut bevölkerten Orten oft genug „Nein!“, „Das macht man nicht„, „…sonst gehen wir sofort nach Hause“ usw.

Klar, wenn ein Kind dem anderen mit der Schaufel eins rüber zieht, ist das nicht fein. Aber wenn ein Kind im Hallenbad beherzt mit Wasser spritzt, muss doch nicht gleich die Seepolizei auffahren! Man geht ja nicht ins Kinderplanschbecken ohne zu wissen, dass man hier nicht nass wird! Aber nein: „Lisa-Marie, das Kind möchte keine Spritzer abbekommen, lass das!“ zu einer Tätigkeit, die im Wasser nun mal am meisten Spass macht… Oder „Komm sofort her und lass das andere Kind in Ruhe!“ Nur weil der Sohn mit Hundeblick auf den Tisch mit den Keksen linst…

Kinderfreundlich war gestern 

Manche Eltern haben dann auch noch den Nerv, das fremde Kind total zu ignorieren, was ich völlig daneben finde. Bei uns sagt der gesunde
Menschenverstand: „Na, magst auch einen haben, hier bitte, gerne…“ Nur die wenigsten Kinder sind so frech und schnappen sich die ganze Verpackung wenn Mutti daneben sitzt… Die gucken einfach lieb oder fragen, da muss man doch nicht gleich mit der Artillerie kommen und das Kind zurückpfeifen. Stattdessen könnte man das eigene (Bettler)kind dazu bewegen, dem „geschädigten“ Kind vom eigenen Zvieri auch was anzubieten…

Gerade auch die Kinder-Ecke im Supermarkt-Restaurant ist oftmals fruchtbarer Nährboden für Polizisten-Eltern. Hocken am Tisch mit Schweissperlen auf der Stirn weil sie Angst vor den stechenden Blicken der Rentner haben, die vier Tische weiter mürrisch ihr Gipfeli inhalieren. Wehe, das Kind rennt zwischen den Tischen durch, rempelt die Frau an, welche den Wagen mit den leeren Tabletts stösst und provoziert so eine mittelprächtige Katastrophe. Wehe, das Kind schmiert den Tisch mit Ketchup voll (Leute, die werden in der Regel eh gleich geputzt) oder gibt im Spielhäuschen laute Geräusche von sich.

Eltern-Polizei, keep cool!

Verzeiht, aber in Anwesenheit von Kindern kann es mal laut werden und wer das nicht mag, hat genügend Möglichkeiten, sich in einere ruhigere Ecke zu verziehen. Wobei es in einem Selbstbedienungs-Restaurant per se nicht ruhig ist, wenn Hunderte von Leuten wild durcheinanderquatschen, -mampfen und so weiter… Keep cool! Lasst die Kinder Kinder sein! Wären sie nicht gesellschaftstauglich, wärt Ihr doch eh zuhause geblieben. Ein bisschen Lärm, Dreck und Wildheit hat noch keinem geschadet! An der Fasnacht lasst Ihr ja auch die Sau raus und tut Dinge, die ihr später Euren Kindern mit Gewissheit nicht erzählen werdet.

Eine Kindheit ist heute vielerorts sowieso nicht mehr so unbeschwert wie früher, wo man 4-Jährige noch furchtlos mit anderen Kids durchs Viertel ziehen liess. Heute lauern ja überall Gefahren, schnelle Autos, Verbrecher, Drogen… Austoben können sich die Kinder ja maximal noch in Indoor-Spielplätzen. Und ich wette auch da intervenieren angst-behaftete Mütter in einer Tour aus Sorge vor den fliegenden Fäusten anderer Mütter. („Dein aggressives Krawallkind ist gerade mit dem Bobby-Car meinem Leon-Schatz über die Füsse gefahren, Du dumme Kuh Du!„)

Ja, ist es angesichts der ständigen, sich selbst auferlegten, gesellschaftlichen Zwänge und der Angst vor Ausschluss aus derselbigen, vor komplettem Eltern-Versagen noch ein Wunder, dass die Leute keine Kinder mehr wollen!?

Heute gelten andere Werte als Familie

Dazu kommt dann noch das heutige Egoistentum, dass jeder sich selber der nächste ist und Berufs- oder Polit-Karriere, Geld, PS-starke Autos, exotische Fernreisen, Sex-Appeal und Leistungs-Breitensport die neuen Werte einer immer schnelllebigeren, oberflächlichen Welt sind!? Der Gedanke an endlos schlaflose Nächte, an quengelnde, zornende Bälger, die unser hart verdientes Geld aufbrauchen und uns an der Ausübung spassiger Freizeitaktivitäten hindern, sind für viele ein klarer Grund gegen die Fortpflanzung. Kinder aufzuziehen ist kein erstrebenswertes Ziel mehr (vielmehr die Mount-Everst-Besteigung, der Porsche Panamera oder die Nasenkorrektur) für uns verwöhnte Zeitgenossen…

Der Raum für Kinder ist immer kleiner geworden – nicht nur der Raum da draussen, sondern auch der Raum im Innern der Menschen…
Dabei sind sie Kinder nur eine verdammt kurze Zeit klein und auf uns angewiesen. Und wenn wir mal in uns gehen, finden wir heraus, wie schön das eigentlich ist, so gebraucht zu werden und einen kleinen Menschen ins Leben zu begleiten. Aber diese Erkenntnis kommt oft erst, nachdem wir Eltern geworden sind. Und den Weg dorthin sind viele nicht mehr bereit zu gehen, zu abgeschreckt sind sie vor den vielen angeblichen Nachteilen…

Es gibt keine schwierigen Kinder… 

Ich will es keineswegs beschönigen, nur weil ich die harten Tage und Nächte längst verdrängt habe. Nein, ich weiss sehr gut, wie anstrengend Kinder sein können. Meist vor allem deshalb, weil sie uns den Spiegel vorhalten und uns mit uns selbst konfrontieren. Weil ich an meine Grenzen komme. Ihr wisst ja: es gibt keine schwierigen Kinder, nur schwierige Eltern. Klar, zwischen Hausaufgaben-Eskalation, streitlustigen Geschwistern und Essensverweigerung bete ich auch mal gen Himmel. Ich träume dann von einer Auszeit.

Aber nur kurz, dann hat mich der Alltag wieder und ich weiss genau, dass ich keinen einzigen Tag von meinen Kleinen weg sein könnte weil ich sie unendlich vermissen würde. Keine Kinder zu bekommen ist auch keine Option. Nicht für mich und nein, auch nicht, nachdem ich längst weiss, welch‘ Challenge es ist. Denn alleine nur mit mir selber, das macht nicht ewig Spass… Der Mensch sehnt sich nach Bindungen und die Bindung zu den Kindern ist die intensivste, schönste und auch schwierigste die es gibt. Und sie gibt mir den Sinn meines Lebens, den ich vorher immer gesucht habe. 

Seid selbstbewusst und steht zu Euren Kindern!

Et voilà, was machen wir nun in einer Gesellschaft, die Kinder am liebsten outsourcen würde? Hören wir auf, Polizisten zu sein und uns mit unseren Kindern in der Öffentlichkeit so zu bewegen als liefen wir auf heissen Kohlen. Seien wir selbstbewusster! Ich übe es jeden Tag. Mein Kind darf Kind sein. Es darf barfuss durch die Gegend laufen, es darf auch mal laut sein. Es ist kein Handtaschen-Hündchen. Es darf seine Gefühle zeigen, auch wenn es der gefürchtete GAU an der Supermarkt-Kasse ist. 

Unsere Kinder müssen endlich wieder den Raum einnehmen, der ihnen gebührt, denn sie sind die Zukunft. Und diese werden sie wohl oder übel mitgestalten. Sollen sie es gehemmt und verklemmt tun? Nein, wir müssen sie stärken für alles, was da kommt. Sie sollen ihre Meinung kundtun dürfen. 

Kinder müssen wieder präsenter werden…

Ich weiss, viele wagen es nicht, aber ist das Kind krank, dann sagt es dem Chef und bleibt zuhause. Wechselt Euch dabei auch ja mit dem Papa ab, egal welche Position oder Verantwortung er hat. Besucht die Vernissage mit dem Baby im Tragetuch, anstatt Euch zuhause zu verstecken. Setzt Euch auf die Parkbank und stillt, ohne ein 3m2 grosses Tuch über Euch auszubreiten. Lasst das Kind ruhig in Eurer Nähe durch die Fussgängerzone krabbeln während Ihr Euren Kaffee trinkt. 

Fragt ruhig nach, ob denn da keine Wickel-Auflage geplant ist in den Toiletten? Lasst Eure älteren Kinder nachmittags vor die Tür und vertraut Ihnen… Schickt sie in den Laden um die Ecke um Brötchen zu kaufen. Nehmt Sie mit zum Termin bei der Bank… Klar gibt es Situationen, die ohne Kinder entspannter sind oder wo Kinder wirklich nichts zu suchen haben (nachts um 2 Uhr in der Disco z.B.). Gesunder Menschenverstand. 

Aber ansonsten würde unserer Gesellschaft etwas mehr Kinderlachen (und -weinen und -schreien genauso) ganz gut tun. Oder wie seht Ihr das?

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Das Titelbild stammt aus unserer Familien-Reportage in Bildern… 🙂

 

11 comments
  1. Hey, ich habe zugegeben keine Erfahrung damit, wie es in anderen Ländern um die Kinderfreundlichkeit bestellt ist, finde es aber bei uns auch ziemlich entspannt. Ich wohne in Dresden, wo mir die Menschen eigentlich auch sehr kinderlieb vorkommen. Ein älterer Mann kam sogar mal auf mich zu, als mein Baby im Restaurant weinte, und sagte: „Das ist Musik in meinen Ohren“ – Das war echt süß und Balsam für meine Seele, denn natürlich war ich gestresst in dem Moment. Ich mag es, wie die Menschen mit Kindern reden, dass es viele Familienfeste gibt und eine gute Kinderbetreuung (die finde ich persönlich extrem wichtig) – und so lange das so ist, ist hier noch nicht Hopfen und Malz verloren, denke ich <3 LG Nadine

    1. Das klingt doch schon mal gut! 😃✊🏻 Ich habe leider oft andere Erfahrungen gemacht… Aber die meisten älteren Menschen sind auch hier kinderlieb und freuen sich, (kleine) Kinder zu sehen…

  2. Oh ja, ich ernte immer wider diese „was willst du hier mit deinen kindern“ blicke….
    Am meisten schmerzt mich dies im verein von unserem gemeinsamen hobby, genau diese leute die uns beim kennen lernen, fernbeziehung, zusamenziehen, haus bau mit organisieren, hochzeit, schwangerschaft, begleitet haben….
    Ich habe halt immer das kind/die kinder im tt mit geschleppt, diskret aber offensichtlich(lang) gestillt & gewickelt (ohne wickeltisch auch mal auf der spieldecke)
    Ich hab echt schon an die aufgabe des hobbys gedacht da ich offensichtlich nur ohne kids willkommen bin….
    Aber ich lasse mir die freude nicht verderben und arbeite zur zeit auch nicht ausserhaus, kann ich später immer wider anfangen😉

    1. Oh ja, das ist echt traurig, das ist wie mit den kinderlosen Freunden, die immer seltener zu Besuch kommen… und sich irgendwann einfach nicht mehr melden… Vermutlich war ich früher auch so, als mich Kinder noch nicht interessiert haben… Und manche Menschen sind wohl ein Leben lang „allergisch“ auf Kinder. Sind denn die meisten im Verein kinderlos? Es ist schade, wenn die Menschen so reagieren anstatt sich zu freuen, dass Ihr trotz Kindern dem Hobby weiter fröhnt, was auch nicht selbstverständlich ist… Aber Ihr setzt ein Zeichen und falls irgendjemand von denen doch irgendwann eigene Kinder hat, kommt vielleicht die Erinnerung und sie machen es wie Du <3

      1. Die meisten haben erwachsene kinder, zum teil auch grosskinder…
        Ich denke bei uns ist das problem ‚das macht man/frau nicht‘ von ‚früher’….
        Der mann geht zum fussball, sport, feierabend bier ect, und frau hat zu hause auf die kinder zu schauen….
        Und in dieses muster lasse ich mich nicht drücken, auch als vollzeitmami nicht!

        1. Verstehe… die ältere Generation… Eigentlich müssten die sich ja an den Kindern freuen, denkt man… Wirklich schade. Und ja: zeig‘ ihnen, dass sich die Zeiten geändert haben! 🙂 Ob mit oder ohne Kinder, Frauen nehmen am gesellschaftlichen Leben genau so teil wie der Mann.

          1. Genau mache ich 😊

  3. Danke, dein Artikel ist Balsam für meine Seele! In meiner Umgebung herrscht ein hoher Anspruch an Kindern. Sie sollten brav, leise, angepasst sein und v.a. horchen. Wahrscheinlich denkt dies die Minderheit, aber diese denkt sehr laut! Jetzt hab ich auch die Einstellung, Kinder dürfen Kinder sein, aber ich ecke nicht gern an. Erst gestern war ich sehr angespannt, als mein Sohn beim Einkaufen so „wild“ war. Mein Mann sagt dann immer, ich denk mir zu viel und deshalb werde ich mir deine Worte zu Herzen nehmen und versuchen, selbstbewusster zu sein. Jetzt hätt ich gern noch einen tollen Spruch parat, wenn wieder Eine/-r zu laut denkt!

    1. Danke für Deine Erfahrungen! 💖🙏🏻 Ich kann das sehr gut nachvollziehen… Und gut, dass Dein Mann entspannt ist! Meiner ist leider das Gegenteil… Spruch? Vielleicht was in der Richtung: „Und Sie waren nie Kind?“

  4. Toll, dass du das Thema ansprichst. Auch ich beobachte leider immer mehr, wie unerwünscht Kinder in unserer Gesellschaft sind bzw. das Verständnis aufhört, sobald das Kind mal nicht „funktioniert“. Auch ich habe erst kürzlich darüber geschrieben. Vielleicht magst du mal reinlesen:
    https://www.fraufreigeist.de/kinderfrei-deutschland-der-zukunft/
    Bei Interesse können wir uns gern auch gegenseitig verlinken.

    1. Lieben Dank! 😍💖🙏🏻 Werde ich mir gerne in einer ruhigen Minute durchlesen ☺️🙏🏻

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