Anne Estermann Annes Leben

„Mütter sind eben öfter krank…“

Mit dieser Aussage im Titel taten die Ärzte jahrelang Annes Symptome ab bevor sie endlich zum MRT geschickt und ein Hirntumor diagnostiziert wurde. Heute sind Beschwerden und Tumor weg, zurück blieben eine Gesichtslähmung und eine einseitige Gehörlosigkeit. Nichts, womit Anne nicht zurecht kommen würde…

In all den Jahren blieb Anne Estermann tapfer und obwohl der Krebs seine Spuren hinterliess, gab sie nicht auf, sondern macht sich im Gegenteil heute für andere stark und versprüht dabei viel Charme und Optimismus. Sieht man sich ihre Bilder auf Instagram an, sieht man eine bildhübsche Frau, die viel strahlt und lacht.  

Die Medikamente halfen nicht

Anne Estermann hat über ihre Erfahrungen ein Buch geschrieben, das ich Euch weiter unten verlinke. Im Interview stellte sie sich meinen Fragen…

Mama mal 3: Liebe Anne, Anfang 2019 wurde bei Dir ein Hirntumor festgestellt. Du hattest jahrelang Symptome, wurdest aber von den Ärzten nie ernst genommen. Das muss furchtbar gewesen sein…

Anne Estermann Anne Estermann: Ich muss ehrlich gestehen, dass ich mir gar nicht so viele Sorgen gemacht habe, da ich dachte, dass die Ärzte schon wissen, was sie tun. Es wurde mit der Zeit nur sehr seltsam und natürlich auch anstrengend, da sich die körperlichen Beschwerden häuften. Ich bekam Gleichgewichtsprobleme, konnte nicht mehr koordinieren, wo ich hin gelaufen bin und rannte gegen Menschen und Gegenstände.

Dann hörte ich plötzlich auf einem Ohr nichts mehr und mich überkam eine ständige Übelkeit und Nackenschmerzen. Die Ärzte gaben mir unter anderem Antibiotika und meinten, „dass man als Mutter eben öfter krank ist“. Natürlich war diese Annahme falsch und die Medikamente halfen auch nicht.

Ich bin eine hoffnungslose Optimistin.

Was löste die Diagnose in Dir aus?

Mein erster Gedanke war „Wie kommt denn der Tumor dahin?“ und „Wie kriege ich den wieder weg?“. Auch dachte ich natürlich gleich an meine Familie und wie ich ihnen diese Diagnose überbringen soll. Ich persönlich wusste zu der Zeit bereits, was alles passieren könnte, auch nach der Operation.

Aber ich bin eine hoffnungslose Optimistin und habe mir da schon gesagt, dass ich diesen Optimismus nicht verlieren darf. Dies für mich, aber auch all die Menschen um mich herum und ich finde, die innere Einstellung ist sehr wichtig, wenn man solch eine Diagnose erhält.

Hörgeräte sind fast wie eine Brille

Hast Du von Anfang an damit gerechnet, dass es eine (gute) Chance auf Heilung gab?

Ja, denn für mich gab es keine andere Option. Von Anfang an wurde mir  keine Angst gemacht, wobei ich auch kein sehr ängstlicher Mensch bin. Doch mein Neurochirurg ist nebst seiner beruflichen Begabung auch sehr menschlich. Er hat mir nie das Gefühl gegeben, dass etwas nicht gut verlaufen würde. Er gab mir auch das Vertrauen in die Ärzte wieder zurück.

Der Tumor ist weg, hat aber seine Spuren hinterlassen: du bist einseitig gehörlos geworden und hast eine partielle Gesichtslähmung davon getragen. Wie gehst Du damit um?

Es gibt Tage, da schaue ich in den Spiegel und denke „Was bist du nur für ein schräger Typ?“ und muss unweigerlich lachen. Dann gibt es natürlich Tage, da wünschte ich mir, ich hätte mein „altes Ich“ wieder.

Anne Estermann Die Gesichtslähmung zeigt mittlerweile Spastiken, welche recht unangenehm sein können. So kann ich mich zum Beispiel beim Essen aus Versehen beissen oder das Gesicht verzieht sich unschön beim Lachen.

Mit den Hörgeräten jedoch gehe ich recht locker um. Es ist fast wie bei einer Brille – ohne, dass ich diese beiden Hilfsmittel miteinander vergleichen möchte. Doch eine Brille unterstützt die betroffene Person, um besser sehen zu können. Und ähnlich ist es bei den Hörgeräten. Sie unterstützten mich beim Hören. Für solche Hilfsmittel muss sich wirklich kein Mensch schämen.

Anderen Betroffenen helfen

Du hast Deine Erfahrungen mit dem Tumor und seinen Folgen im Buch „Das Leben ist hart, aber ich bin härter“ nieder geschrieben. Gehörte dies auch ein wenig zur „Therapie“? Schliesslich hinterlässt ein Tumor auch Spuren auf der Seele…

Ich würde sagen, dass es grundsätzlich eine Art „Therapie“ ist, offen mit solch einem Thema umzugehen. Jedoch hoffe ich, dass dies nicht nur mir hilft, sondern auch anderen Betroffenen.

Du bist Mutter einer 7-jährigen Tochter. War es schwer für Dich, während der Krankheit und Genesung für sie da zu sein? Hattest Du Unterstützung?

Für meine Tochter war es sicher schwerer als für mich. Man muss wissen, dass solch eine Krankheit auch die Angehörigen stark betroffen machen kann und meine Tochter ist sehr sensibel.

Zu der Zeit der Diagnose war sie noch fünf Jahre alt und es fehlten nur anderthalb Monate bis zu ihrem sechsten Geburtstag. Ich hatte Angst, nicht für sie da sein zu können und ihren Geburtstag zu verpassen.

Aber ich wollte sie von Anfang an integrieren und damit erreichen, dass es ihr hilft. Also habe ich viel mit ihr geredet, um ihr die Angst zu nehmen. Sie durfte mich auch im Krankenhaus besuchen und war bei jedem Schritt meiner Genesung dabei.

Sie hält auch zu gern noch heute meine Hand, wenn mir Blut abgenommen wird und sie durfte mich ebenso bei der Physiotherapie begleiten und Trampolin springen, während ich den Gleichgewichtssinn trainiert habe.

Wie geht es Dir heute, liebe Anne?

Danke schön für die Nachfrage! Mir geht es gut. Ich kann und will mich nicht beklagen.

Ich geniesse einfach das Hier und Jetzt.

Musst Du regelmässig Medikamente nehmen/zur Arzt-Kontrolle?

Ich muss regelmässig ins MRT (Magnetresonanztomographie) und habe danach auch immer eine Besprechung mit meinem Neurochirurgen. Und für die Gesichtslähmung erhalte ich nach wie vor Logopädie.

Hast Du Angst, dass der Tumor zurückkehrt?

Laut meinem Neurochirurgen wird der Tumor, der mir entfernt wurde, nicht wieder zurückkehren. Aber es könnte sich natürlich ein neuer Tumor bilden, weshalb ich auch regelmässig in die Kontrolle gehe. Aber ich beschäftige mich nicht mit solchen Gedanken und habe auch keine Angst davor. Ich geniesse einfach das Hier und Jetzt.

Gesund und munter das Leben geniessend

Du hast trotz Deines Leidensweges nie aufgegeben und bist heute eine gefragte Autorin, Bloggerin und Moderatorin. Denkst Du, dass Dich der Tumor und dessen Entfernung beflügelt hat?

Ich glaube nicht, dass ich derart gefragt bin, aber ich freue mich natürlich, wenn Mitmenschen an meiner Geschichte interessiert sind. Und es freut mich, wenn ich dadurch anderen Betroffenen helfen kann. Das treibt mich in der Tat an.

Wie sieht ein typischer Tag in Deinem Leben aus?

Eigentlich gar nicht so viel anders, als vor der Diagnose. Ich kümmere mich um meine Tochter, welche dieses Jahr eingeschult wurde und gehe auch wieder arbeiten. Wenn ich jedoch frei habe, liebe ich es zu schreiben, zu lesen oder im Wald spazieren zu gehen.

Schränkt Dich der Tumor heute noch irgendwie ein bis auf die Tatsache, dass Du ein Hörgerät tragen musst?

Nein, denn der Tumor ist weg und mit den Beeinträchtigungen, dass ich zum Beispiel jetzt die Gesichtslähmung habe oder dass der Hörnerv kaputt ist, muss ich leben. Aber es lässt sich damit leben.

Es ist bei uns zu Hause zwecks den Hörgeräten im Übrigen schon zum „Running Gag“ geworden, wenn ich nach der Arbeit nach Hause komme und sage „So, ich logge mich jetzt mal aus!“ und die Hörgeräte abnehme.

Wo siehst Du Dich in 5-10 Jahren?

Definitiv weiterhin gesund und munter das Leben geniessend.

Über Anne Estermann

Anne Estermann Anne Estermann wurde in Deutschland geboren und ist 2005 in die Schweiz ausgewandert. Sie ist juristische Angestellte, gelernte Hörfunkmoderatorin und liebt es zu schreiben. Ihr erster Roman erschien 2017. Seither veröffentlicht sie regelmässig Texte, in Buchform oder auf ihrem Blog. Neben diesem hat sie auch einen YouTube-Channel, auf welchem sie ihre Erfahrungen und so hoffentlich auch viel Hoffnung weitergibt. Mit ihrer Familie lebt sie in Luzern.

Bilder: Anne Estermann (zVg)

Mehr von Anne gibt es unter diesen Links:

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2 comments
  1. […] Jahrelang unerkannt: Anne ist nach der Entfernung ihres Hirntumors einseitig gehörlos und ihr Gesicht partiell gelähmt. Ein Interview. […]

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