Kind macht Foto von anderen Kindern auf dem iPad

Tablets im Kindergarten – warum!?

Vor über drei Jahren führte ich ein Interview an der Primarschule in Ruggell/Liechtenstein. Dort wurde in einem „Pilotprojekt jeder Erstklässler mit einem Tablet ausgestattet. Ich war schon damals sehr skeptisch. Die Reaktionen auf meinen Beitrag waren gespalten.

Das Projekt wurde bereits evaluiert und anscheinend sind sowohl Eltern (auch die anfangs skeptischen) sowie Bildungsexperten zufrieden. Das Resultat: eine Digital-Offensive an Liechtensteins Schulen, die satte 13 Millionen Franken kosten darf. Schön, dass dafür so viel Geld investiert wird, währendin Sachen Familienpolitik nach wie vor nichts geschehen ist, damit arbeitende Eltern länger als 20 Wochen zuhause bei Ihrem Baby bleiben dürfen. Auch hier werden also wirtschaftliche Interessen höher gewichtet als gestärkte Familien und Kinder. Fail!  

6-Jährige mit eigener Mail-Adresse

Alle Primarschüler sollen mit persönlichen(!) Tablets und alle Schüler der Sekundarstufe mit persönlichen Notebooks ausgestattet werden. Persönliche Tablets deshalb, weil schon ein Primarschüler eine eigene E-Mail-Adresse bekommt. Wofür es die braucht, stelle ich mal in Frage… Ansonsten hätten nämlich ein paar Tablets pro Klasse gereicht, sollen sie ja nur ergänzend eingesetzt werden…

Dass nun aber auch jede Kindergartengruppe vier Geräte erhalten soll – da schrillen bei mir alle Alarmglocken!

Zu spät kam da der vom Kinderschutz.li organisierte Vortrag des Neurobiologen Manfred Spitzer Mitte März in Schaan. Obwohl Spitzers Aussagen umstritten sind, war der Ansturm so gross, dass sein Vortrag in einen zweiten Saal übertragen wurde. Ich habe gehört, dass auch Regierungsmitglieder im Publikum sassen. Nur hilft es nichts, denn die digitale Offensive ist bereits in Gang und daran können auch die kritischen Worte Spitzers nichts mehr ändern. Warum die Regierung sich dennoch blicken liess, ist also unklar. Klar sind aber die Worte Spitzers: „Je mehr Bildschirmmedien die Kinder konsumieren, desto beeinträchtigter ist ihre geistige Entwicklung“.

Umgang schulen, neue Kompetenzen erlernen

Dem gegenüber stehen die Meinungen der Befürworter. Kinder und Jugendliche sollen dazu befähigt werden, Medien situations-, stufengerecht und effizient zu nutzen. Auch der sichere Umgang damit soll präventiv geschult werden. Denn: „Beruf und Studium verlangen in Zukunft neue Kompetenzen in den Bereichen Medien, Informatik und die Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien.“ So schrieb es im Juli eine der Landeszeitungen.

Mir ist auch klar, dass wir alle uns hier auf einem relativ neuen Gebiet bewegen. Relativ, weil bei mir an der Primarschule in den 80ern der Personal Computer das neue, digitale Ding war. Es stand einer im Klassenzimmer. Daran haben wir ab und zu gespielt. Zuhause stand irgendwann ein Atari. An das Thema herangeführt wurden wir erst am Gymnasium.

Was ich später im Job können musste, lernte ich ad hoc von den anderen Leuten auf der Redaktion und teilweise in der Journalisten-Ausbildung. Ich habe nie einen Computerkurs besucht. Ich bin da rein- und damit aufgewachsen. Genauso gut kann ich heute mein Smartphone bedienen. Auch meine Kinder wissen, wie die Geräte funktionieren. Da wir in der Schweiz wohnen, bleiben sie vorerst von der Tablet-Flut im Klassenzimmer verschont. Mein Sohn lernt das Maschinenschreiben am PC in der 3. Klasse, so wie ich damals etwa 3-4 Jahre später.

Tablets haben im Kindergarten nichts verloren

Dass er nicht sonderlich motiviert ist, kann ich nachvollziehen. Aber zurück zum Kindergarten und zum Titel dieses Beitrags… Tablets haben meiner Meinung nach dort nichts verloren. Ich würde also gerne eine gute Antwort auf mein warum haben. Auch wenn es nur vier Stück pro Gruppe sind: wozu werden sie eingesetzt und was wird damit ersetzt? Meiner Meinung nach wird im Kindergarten vor allem gespielt, gesungen, gemalt, gebastelt… die Kinder lernen, sich in einer Gruppe zu integrieren und einer „Autorität“ zu folgen. Erste motorische „Skills“ wie Zeichnen, den eigenen Namen schreiben, mit der Schere zurechtkommen, werden geübt. Als Vorbereitung auf die Schule. Was haben hier also Tablets verloren?

Sind wir ehrlich: 8 von 10 Kindern kamen vermutlich schon vorher in die Berührung mit Tablets oder Smartphones. Ich kenne die Zahlen nicht, aber ich schätze der Grossteil hat diese bereits aktiv benutzt bzw. deren Programme passiv konsumiert. Nicht umsonst gibt es zahlreiche Apps schon für Kleinkinder und das Tablet kann auch prima als Ruhigsteller mit Filmchen eingesetzt werden. Beobachte ich immer wieder sehr beunruhigt im Urlaub im Speisesaal.

Back to the roots…

Meiner Meinung nach kann ein Kindergartenkind am Tablet nichts machen, was nicht auch mit anderen Materialien möglich wäre. Es kommt wohl auch nicht von ungefähr, dass viele Eltern sich heute intensiv mit der Montessori-, Pikler- oder Waldorfpädagogik auseinandersetzen und wieder bewusst nur wenige, ganz einfache oft naturbelassene Spielmaterialien anschaffen. Jede Bewegung erfährt eine Gegenbewegung. Nicht von ungefähr baut die Waldorfschule in Schaan gerade neu und schafft mehr Plätze…

Meiner Meinung nach wäre es sinnvoller, im Kindergarten auf genau diesen Kontrapunkt zu setzen und auch viel mit den Kindern raus zugehen weil das eben zuhause oft nicht mehr geschieht. Der Einsatz der digitalen Babysitter ist nicht nur für Eltern verlockend. Die Geräte ziehen auch die Kinder magisch an.

Wir hatten einst selber zwei iPads im Haus. Aber es funktionierte nie gut. Es wurde ständig danach gefragt und irgendein Grund vorgeschoben. Mein Sohn kann heute noch manchmal kommen und sagen: „Ich brauche das Handy, ich will etwas nachsehen, es ist für mein Wissen.“ Offenbar hat er schon irgendwo aufgeschnappt, dass Wissensaneignung die Nutzung der Geräte rechtfertigt… Ähm, ja. Und nein, ich gebe es ihm nicht. Er kann in einem Buch nachschauen. Diese Kompetenz haben nämlich viele schon verlernt.

Die Tablets sorgten nur für Ärger

Die Tablets sind längst weg. Das dauernde Verlangen danach hat nur für Ärger und Disharmonie gesorgt. Die Grossen bekommen täglich ihre Bildschirmzeit mit einer Fernsehsendung am Abend, das Mäuschen möchte ich mind. 3-4 Jahre vor jedem Bildschirm fernhalten. Und, nein, sie verpasst dadurch absolut nichts. Wer weiss, ob sie bis dann nicht im Kindergarten auch ein Tablet erhält. Freude kommt auf. Nicht!

Fazit: ich halte Tablets im Kindergarten für fehl am Platz, finde, dass längst nicht jeder Schüler ein eigenes braucht und wenn Notebooks in der weiterführenden Schule als Arbeitsinstrument eingesetzt werden, ist das meiner Meinung nach noch früh genug. Kinder lernen schnell, aber ihre wertvolle Zeit sollte nicht mit all zu viel Bildschirmen vollgestopft sein. So viel wie nötig (ich bin nicht per se gegen den Einsatz), so wenig wie möglich. Mein Sohn ist jetzt in der 3. Klasse. Ich habe nicht das Gefühl, dass er irgendwann benachteiligt sein wird weil er nicht seit 3 Jahren sein eigenes Tablet oder eine eigene Mailadresse hat. Aber, bitte, Ihr könnt mich in 10 Jahren nochmals fragen…

Bildungsprogramme bereichern den Unterricht

Das Titelbild stammt von Apple. Dass den Herstellern viel daran gelegen ist, ihre Geräte unter’s Volk zu bringen, sollte klar sein. Zweifelsohne mögen die vielen Programme wie Classroom, Everyone can create, Apple Schoolworks und dergleichen (rund 200’000 Bildungs-Apps stehen zur Verfügung) den Unterricht bereichern. Ohne Zweifel erhalten damit Lehrer Instrumente an die Hand, die das Unterrichten vereinfachen. Und dass die digitale Welt immer mehr in unser Leben Einzug hält und halten wird (man denke auch ans „Digital Home“, Ihr wisst, schon: der Kühlschrank bestellt online frische Milch wenn welche aus ist und die Heizung schickt bei Störung ein WhatsApp), ist nicht von der Hand zu weisen.

Aber wir müssen nicht schon die Kleinsten, die von ganz allein früher oder später automatisch durch uns damit in Berührung kommen, schon auf diese Geräte einschweissen. Sicher tun sich damit neue, kreative Welten auf. Aber das Erlebnis, mit Materialien wie Handmalfarbe kreativ zu sein oder kleine Schnipsel auf ein Blatt kleben, kann ein Gerät nie ersetzen. Und klar geht beides parallel, aber meiner Meinung nach sollte man die Fingerfertigkeiten erst mal so üben, wie es die Natur vorgesehen hat. Auch in 20 Jahren wird es nicht nur Programmierer brauchen, sondern auch Bäcker, Gärtner und Ärzte. Und sie alle werden auch dann ihren Beruf hauptsächlich mit ihren Händen ausüben und nicht nur am Computer.

Tablets im Kindergarten Pin
6 comments
  1. Ich bin ganz bei dir. Tablets haben im Kindergarten nichts zu suchen. Man braucht sie da einfach nicht.

    1. Ich bin froh, siehst Du es auch so 💖

  2. Das sehe ich auch so. Soweit ich weiß, sollten vier Jahre alte Kinder gerade mal zehn Minuten digitale Medien konsumieren, jüngere Kinder gar nicht, und dann schrittweise erhöht werden. Ich behaupte mal kühn, dass diese zehn Minuten schon bei den meisten Kindern Zuhause überschritten werden. 😉 Wenn ich da so meine Kinder erzählen höre von Paw Patrol, Feuerwehrmann Sam, Mia and Me und wie das alles heißt. Das Gruseln überkommt mich immer, wenn in der Erzählrunde am Montag ein Kind nur vom Tablet, dass er zum sechsten Geburtstag bekommen hat, erzählt: dass er die „ganze Zeit“ nur gespielt hat, eine neue Speicherkarte bekommen oder neue Spiele heruntergeladen hat. Den Vogel hat er abgeschossen, als er meinte, er dürfe ein Spiel nicht mehr spielen, weil es ihn immer so wütend mache. Schlimm! Bei seinem familiären Hintergrund kann ich mir zwar nicht vorstellen, dass er tatsächlich dauernd spielt, aber wir merken trotzdem eine negative Veränderung, nämlich sehr viel unruhigeres Verhalten und eine Verschlechterung der Sprache.
    Daher: Tablets in Kitas und für ALLE in der Grundschule – nein danke!

    1. Vielen Dank für diesen Kommentar! 💖🙏🏻 Es ist echt, wertvoll, wenn jemand sagt, dass dieses Zuviel an Nutzung doch deutliche und unmittelbare Auswirkungen hat…

  3. Liebe MamaMal3
    laaaaange nichts gehört, aber ich dachte heute, ich schau mal wieder in Deinen Blog. Der Beitrag ist gut – wenn auch schon etwas älter. Wenn ich sehe, was hier in unserer Umgebung in den Schulen los ist hinsichtlich Digitalisierung, dann läuft es mir eiskalt den Rücken runter. Dabei predigen Hirnforscher und Bildungswissenschaftler seit Jahren, dass gerade das Zuviel an „Berieselung“ und stets verfügbarer medialer Unterhaltung nur negative Effekte hat.
    Wir sind vor einem guten Jahr dem staatlichen Schulsystem in DE entflohen und sind auch in dieser Hinsicht froh drum. Die Ansichten an der Waldorfschule entsprechen unserer eigenen Haltung wesentlich mehr. Ich sende liebe Grüße
    P.S.: der Große mit langen Haaren. Coooool! Wie groß die Buben geworden sind.

    1. Gerade den Laptop zugeklappt und auf’s Handy geguckt – Tanja, ein Kommentar von Tanja!? Die Tanja? 😀 Ja, da musste ich den Laptop grad nochmals anschmeissen! Hey, es freut mich riesig, von Dir zu hören, ja, ewig ist’s her, ich dachte, Du hast uns hier längst vergessen… 😀 Ich muss sicher nicht erwähnen, wie schön es wäre, Euch wieder mal zu sehen… Deine Kids müssen unterdessen Riesen sein! Ja, der Grosse hat ziemlich lange Haare aktuell… 😀 Und ich kann das voll unterschreiben. Vielleicht schauen wir uns demnächst mal die Scuola Vivante hier im Nachbardorf an. Leider nicht günstig, aber wir haben auch so unsere Mühe mit der staatlichen Schule. Die Mathe-Hausaufgaben bringen hier fast jede Woche einen ziemlichen Sturm in die Familie… Die Waldorfschule in Schaan ist im Ausbau, es gibt auch schon alternative Kindergärten. Leider alles kaum bezahlbar, grad mit mehreren Kids und mir lag eigentlich viel daran, dass sie hier IM ORT zur Schule gehen und dies selbstständig und ich sie nicht noch irgendwo hin fahren muss. Mal sehen, was noch kommt. Noch 2 Jahre und die Primarschule ist sowieso vorbei… Ganz liebe Grüsse auch von mir!!

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