Aida S. de Rodriguez Es geht auch ohne Strafen Buchcover

Es geht auch ohne Strafen und zwar so…

Es geht auch ohne Strafen!“ von Aida S. de Rodriguez war ein absolutes Must-Have für mich. Seit Jahren verfolge ich die Arbeit von Aida, sei es via ihren Blog Elternmorphose, via der Facebook-Gruppe „unerzogen“ etc. Ich erhielt dort immer wieder neue und wertvolle Impulse für scheinbar ausweglose Situationen und Input für die Kommunikation mit Lehrern. Aida hat mittlerweile eine eigene Schule (in Berlin) gegründet, die ohne Straf- und Belohnungssystem auskommt.

In „Es geht auch ohne Strafen! Kinder auf Augenhöhe begleiten. Impulse für Familie, Kita und Schule“ zeigt Aida S. de Rodriguez, selber Mutter von drei Kindern, Handlungsalternativen auf.

Sie legt dar, warum Strafen alles andere als sinnvoll sind und wie schwer es doch sein kann, auf klassische Erziehungs-Muster zu verzichten. Beziehung statt Erziehung, das ist gefragt in Familien. Wie wir dahin kommen, erklärt sie ihn ihrem Buch.

Was ist Erziehung?

Laut Aida S. de Rodriguez geht es dabei um „Formung“, das „Ziehen“ in eine bestimmte Richtung mithilfe von Methoden, wobei das Kind „zum Objekt degradiert“ wird. „Erziehung ist willkürlich und steht einer gleichwürdigen Beziehung zwischen zwei Menschen (…) sowie einer Begleitung von Kindern auf Augenhöhe im Weg.“

Erziehende verlieren die Chance, ihr Kind „wahrhaftig kennen zu lernen“, da Erziehung auf das Verhalten, nicht aber die Bedürfnisse dahinter fokussiert. Damit wird der Erwachsenen-Kind-Beziehung nachhaltig geschadet.

„Wenn Erziehung wegfällt, hat Beziehung Platz. (…) Die Entscheidung für Beziehung ist vor allem Arbeit an sich selbst und eine Frage der inneren Haltung.“ Denn während man bei Erziehung auf eine schnelle Lösung bedacht ist, am besten mit dem Vorschlaghammer in Form von Strafen, Drohungen oder Erpressung, geht es bei Beziehung darum, die Gründe eines bestimmten Verhaltens zu erfahren und das Symptom zu „bekämpfen“. Das ist kein einfacher Weg, aber ein nachhaltiger… 

Kinder handeln für sich selber

Kinder verhalten sich nicht aus „Spass“ in unseren Augen schlecht. Sie sind keine „Tyrannen mit dem Lebensziel, den Erwachsenen das Leben zur Hölle zu machen“, wie viele es formulieren. Sondern sie kämpfen nur gerade mit ihren Gefühlen und handeln dabei einfach nur für sich selber.

Wer das verinnerlicht, wird auch lernen, damit umgehen zu können und es nicht als Affront zu sehen. Wer einfach nur straft, gibt dem Kind zu verstehen, dass seine Gefühle und Bedürfnisse, ja es selber „falsch“ sind. Und das ist nicht in Ordnung. Und ein ganz wichtiger Satz, der eigentlich allen die Augen öffnen sollte: „Die Tatsache, dass wir Strafen immer wieder einsetzen müssen, zeigt, dass sie nicht funktionieren.

Und: sie kommen zurück wie ein Bumerang. Schreie ich mein Kind an, kann ich nicht erwarten, dass es nicht bald zurück schreit. Schlage ich es, wird es vermutlich irgendwann selber schlagen. Bin ich respektlos, wird es seinen Respekt ebenfalls verlieren.

Gewalt erzeugt Gegengewalt“, so Aida S. de Rodriguez, was ich am Beispiel meiner eigenen Kindern schon sehr oft gespürt habe. Denn ja, auch ich, griff viel zu oft auf eingeprägte Muster zurück. Die Quittung dafür erfolgte immer sofort. Kinder sind nicht dumm…

Strafen in der Schule

Kinder lernen durch Strafen nicht, wie erhofft, Ihr Verhalten zu hinterfragen, sondern nur, dass „der Mächtigere seinen Willen durchsetzen kann“. Wollen wir das vermitteln?

Leider sind Strafen in Schulen (auch hier) oft noch an der Tagesordnung. Deswegen kann ich dieses Buch jedem Lehrer empfehlen, wenn Aida S. de Rodriguez schreibt:

Im Grunde genommen ist die gesamte Leistungsorientierung und das damit einhergehende Bewertungssystem in Schulen darauf ausgerichtet, Kontrolle von Verhalten auszuüben und eine Vergleichbarkeit von zu Objekten degradierten Individuen zu gewährleisten. Die Forschung zeigt allerdings, dass Belohnung die intrinsische Motivation zerstört und dass Menschen, die gemassregelt werden, um bestimmte Ziele zu erreichen, sich nicht geliebt fühlen, sondern sich selbst infrage stellen. All dies steht einer gesunden, erfolgreichen Zukunft im Wege.

Seelische Bestrafungen

Aida S. de Rodriguez: „Erpressung, Manipulation, Drohungen, Ignorieren. All das stellt die Liebe unter Bedingungen und bedient sich der kindlichen Abhängigkeit. Es ist eine äusserst perfide Form der Bestrafung, die oft so subtil daherkommt, dass sie bereits zur Selbstverständlichkeit geworden ist.

Daher empfehle ich auch immer das Buch von Alfie Kohn, „Liebe und Eigenständigkeit“, das für eine bedingungslose Liebe plädiert.

Das schlimme, wie von Aida bereits erwähnt, ist, dass viele Eltern sich dem gar nicht bewusst sind. Wie oft hört man Mütter oder Väter auf dem Spielplatz sagen: „Wenn Du nicht mitkommst, gehe ich eben ohne dich nach Hause.

Aida S. de Rodriguez bringt in „Es geht auch ohne Strafen“ viele konkrete Beispiele aus dem Alltag, wie wir sie alle kennen und auch Beispiele aus ihrer eigenen Kindheit und ihrem eigenen Schul-Alltag. Vom Zähneputzen bis zum Medienkonsum – von der Autonomiephase bis zur (Wackelzahn-)Pubertät.

Ich werde darauf gar nicht gross eingehen, ich lege Euch da wirklich die Lektüre des Buchs sehr ans Herzen wenn Ihr noch in vielen Dingen und Situationen unsicher seid…

Verantwortung übernehmen

Wichtig ist Aida, dass Eltern wie auch Erzieherinnen oder Lernbegleiter für Konflikte die Verantwortung übernehmen und die wahren Ursachen ergründen. Denn Konflikte „geben uns Hinweise auf Schieflagen und Entwicklungspotenziale.

Wenn sich z.B. zwei Geschwister streiten, sehen Eltern als Grund nur das Verhalten der Kinder. Doch die Ursache findet sich auf der Bedürfnis-Ebene. Geschwister konkurrieren permanent „um begrenzt vorhandene Ressourcen – Wohnraum, Aufmerksamkeit der Eltern, Nahrung, Medien etc.

Vielleicht befindet sich auch gerade „das familiäre System in einem Ungleichgewicht? Kinder reagieren sensibel darauf und spiegeln ihren Eltern die sie umgebende Lebenssituation.

Laut Aida müssen wir erst lernen, Konflikte nicht auf der Objekt-Ebene zu lösen, was wir aber gerne tun. Oft gehe es bei Streits nur um das Wer und wie, nicht aber das Warum.

Frei von Erziehung ist nicht antiautoritär

Und ein kleiner Ausflug zur Abgrenzung der Thematik: „Auf Strafen zu verzichten bedeutet nicht, nichts zu tun. Eine Erwachsenen-Kind-Beziehung auf Augenhöhe ist keine antiautoritäre Erziehung und kein Laissez-faire. (…)

Es geht nicht darum, das Kind sich selbst zu überlassen, sondern darum, dem Kind neugierig und offen zu begegnen und ihm Raum zu geben um zu sein.“ (…) „Beziehung, Liebe, Innere Arbeit – all das geschieht im Miteinander und im Lernen voneinander. Und dazu gehören auch Rückschläge und Umwege.

Und an alle, die immer wieder gebetsmühlenartig wiederholen, dass Kinder Grenzen brauchen: Die Grenzen sind bereits da. „Überall, wo andere Lebewesen sind. Wir müssen keine zusätzlichen Grenzen kreieren, um unsere Kinder unter Kontrolle zu halten.

Die natürlichen Grenzen reichen völlig aus. Mal ist es das Geld, das fehlt, um ein begehrtes Spielzeug zu kaufen. Mal bin ich es, die stopp sagt, weil ich nicht gekitzelt werden will.

Alternativen zu Strafen

Ich habe Euch jetzt quer durch das Buch meine liebsten Stellen zitiert und heraus gezogen. Kommen wir nun zu Teil 3 – Handlungsalternativen für kritische Momente, in dem Aida S. de Rodriguez 28 Handlungssalternativen zur Strafe aufzählt und erläutert.

Und, tolle Idee, im Anhang im Kurzen schön gestaltet zum Ausschneiden und Aufhängen, Kopieren etc. als „Merkzettelchen“ anbietet. So kann man sich diese Merksätze Tag für Tag an wichtigen Orten einverleiben – auf dem Spiegel im Badezimmer, am Kühlschrank, an der Eingangstüre…

Ich habe Euch mal „meine“ wichtigsten Merksätze herausgesucht und zusammengefasst. Handlungsalternativen, die ich bereits rege und gerne nutze, die also schon erprobt sind, oder die ich mir unbedingt vornehmen sollte… Es lohnt sich aber auf jeden Fall, sich im Buch alle durchzulesen! 

  • Fokussiere Dich auf das Bedürfnis, nicht auf das Verhalten. Siehe oben… „Mein Kind will mir etwas sagen. Es braucht etwas. (…) Schau hin!“ Hier half mir das aktive Zuhören schon sehr… Sehr oft kam dann bei Streitigkeiten etc. heraus, dass das Kind einfach mehr Zeit mit mir wollte…
  • (Mit dem Kind) aus der Situation gehen, innehalten und in einem ruhigen Moment miteinander reden… Klingt einfach, kann aber sehr schwierig sein im Eifer des „Gefechts“.
  • Sucht gemeinsam nach Lösungen und „undet“. Oft haben die Kinder sehr gute Ideen, auf die wir selber nicht gekommen wären. Das „unden“ bedeutet hier, dass danach beide zufrieden sind mit der Lösung…
  • Gemeinsam entspannen: etwas unternehmen, spielen, tanzen, raus an die frische Luft, eine Kissenschlacht. Hauptsache Bewegung u/o Bindung, Körperkontakt, zusammen sein…
  • Um Hilfe bitten: „es ist nicht nur OK, für sich zu sorgen – es ist unerlässlich.“ Uns fehlt heute das Dorf, wir sind viel zu oft alleine mit allem, was völlig unnatürlich ist. Es ist völlig legitim, dass wir an unsere Grenzen kommen. Also sollten wir um Hilfe bitten, wo es nur geht und sie auch annehmen.
  • Lege Erwartungen ab und vermeide Druck und Enttäuschungen: das ist und war für mich immer sehr wichtig. Oft erwarten Eltern Dinge von Kindern, die sie noch gar nicht leisten können… Oder in einem bestimmten Moment nicht können. Auch ein Kind, das längst seine Schuhe selber anziehen kann, braucht vielleicht in einem bestimmten Moment einfach die liebende und helfende Hand seiner Mutter oder seines Vaters…
  • Gestalte Dir die Welt einfacher, meide Situationen, die Stress bereiten, schaffe Strukturen, die helfen. Erinnert mich sehr an die Zeit, als meine Kinder noch klein waren. Die sogenannte Ja-Umgebung entspannt total. Auch, mir/uns nicht zu viel vorzunehmen und Orte und Situationen, ja Termine zu meiden und einfach mal nur zuhause zu bleiben. Mehr Zeit einzuplanen. Solche Sachen…

Mein Fazit – Alternativen zu Strafen

Ich kann Aida S. de Rodriguez‘ Buch wärmstens empfehlen, vor allem dann, wenn Ihr in vielem noch unsicher seid, aber schon auf dem richtigen Weg seid bzw. Euch im Klaren seid, dass Ihr eben nicht den klassischen Weg gehen wollt, der Strafen oder Belohnungen, Drohungen und Zwänge vorsieht…

Ich hoffe, dass dieses Buch auch vielen Pädagogen in die Hand fällt. Und es ist mit Sicherheit keine schlechte Idee, es der einen Schwiegermutter, Erzieherin oder dem Bruder in die Hand zu drücken, die/der gerne mit Floskeln wie „Dein Kind tanzt Dir auf der Nase herum“ oder „das ist nur ein Machtkampf“ um sich wirft.

Bei vielen ist diesbezüglich leider Hopfen und Malz verloren. Sie sind beratungsresistent, wie man so schön sagt. Aber mit etwas Glück trifft Ihr auf jemanden, der offen ist und dieses schöne Werk annehmen und seine Handlungsalternativen annehmen kann. Und damit auch Dich als Elternteil besser verstehen und unterstützen wird…

Weitere Rezensionen und Beiträge

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