Titelbild Pandemie und Gesellschaft

Wie wirkt sich die Pandemie eigentlich auf uns aus?

Die Corona-Krise hat unser aller Leben ziemlich auf den Kopf gestellt. Nach und nach wurden diverse Massnahmen zur Eindämmung des Virus umgesetzt. Diese Massnahmen schränken nicht nur unseren Radius und unsere Möglichkeiten ein. Nein, deren Auswirkungen belasten uns auch psychisch und verändern uns als Gesellschaft. Dazu habe ich die Soziologin Valeska Beutel, Leiterin Berufspolitik des SBAP – Schweizerischen Berufsverband für Angewandte Psychologie, befragt.

Mama mal 3: Die Corona-Krise wirkt sich nicht nur auf unseren Alltag aus, sondern auch auf die Psyche. Hat sich der Bedarf an psychologischer Unterstützung erhöht?

Valeska Beutel Soziologin
Valeska Beutel. Bild: zVg

Valeska Beutel: Auf jeden Fall, die Gesamtbevölkerung ist zu einem grossen Teil verunsichert und dies äussert sich in einem Ansturm auf die Notaufnahmen. Der SBAP ist mit bereits bestehenden Organisationen wie beispielsweise «Pro Mente Sana» (→ Chat/Telefonangebot: www.inCLOUsiv.ch) mittels unkomplizierter Hilfe in Bezug auf psychologische Unterstützung aktiv. Auf «dureschnufe.ch» stehen zudem viele Hilfsangebote aufgelistet. Mit dem SBK (Schweizerischer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner) plant der SBAP ebenfalls eine Zusammenarbeit.

Dürfen Psycho-Therapeuten ihre Patienten noch persönlich betreuen? Falls nein: nutzen Psychologen die Möglichkeit, dies online oder via Telefon zu machen?

Derzeit ist es immer noch möglich, psychologische Psychotherapie in den Praxen durchzuführen, so lange die Hygiene-Massnahmen des BAG (2m Abstand, Verzicht auf Händeschütteln) eingehalten werden können. Wenn Klientinnen und Klienten lieber zu Hause bleiben, aus Angst vor einer Ansteckung oder weil sie den Appell des Bundesrates sehr strikt einhalten möchten, wird Online Intervention (per Telefon, andere geeignete Angebote mit Kamerafunktion) angeboten und durchgeführt.

Zwischenmenschliche Beziehungen passen sich an

Ich könnte mir vorstellen, dass die aktuelle Situation sich besonders auf Menschen mit Angstzuständen, Zwangs-Neurosen, Depressionen o.ä. auswirkt und diese verstärkt. Menschen hingegen, die Mühe mit sozialen Kontakten haben, sehr introvertiert sind, geht es vermutlich aktuell sehr gut?

Das ist richtig, Menschen mit Angstzuständen geht es vermutlich schlechter, weil sie permanent durch die Medien mit dem Thema «Coronavirus» in Kontakt kommen. Auch fallen für Menschen mit Depressionen die antrainierten Abläufe und Coping-Strategien weg. Die ganze Tagesstruktur ist oftmals in sich zusammen gebrochen. Ich bezweifle, dass die Menschen mit «sozialer Phobie» momentan sehr glücklich sind; auch sie möchten sich frei bewegen und den öV benutzen, um im Wald spazieren gehen zu können oder dergleichen.

Keine Kamera der Welt kann eine Interaktion zwischen zwei Menschen von Angesicht zu Angesicht ersetzen.

Symbolbild Corona-Virus Maske

Das Virus zwingt viele Menschen dazu, sich zu isolieren (Home-Office, Quarantäne, Social Distancing) – eine für uns völlig neue und unnatürliche Situation und die Dauer dieser Massnahmen ist nicht absehbar. Wie reagieren wir darauf – kurz- und langfristig? Was sind die Auswirkungen?

Der Mensch kann sich erstaunlicherweise an schwierige und herausfordernde Umstände gewöhnen und so ist es auch in der Corona-Krise zu beobachten: die Mehrheit in der Schweiz befolgt die Weisungen des Bundesrates und hält sich an die Massnahmen. Nichtsdestotrotz ist es eine anhaltende Stresssituation für die ganze Bevölkerung, vor allem für Personen, die sich eine hohe Autonomie (auch innerhalb der Partnerschaft oder von Familienstrukturen) gewöhnt sind. Langfristig gesehen werden sich zwischenmenschliche Beziehung wandeln und anpassen, was nur schon sichtbar wird, wenn Menschen gemeinsam virtuell zu Abend essen. Allerdings ersetzt keine Kamera der Welt eine Interaktion zwischen zwei Menschen von Angesicht zu Angesicht.

Struktur, frische Luft und Medienpausen

Die Menschen sind in diesen Tagen enorm verunsichert. Die Informationsflut zum Thema ist riesig, es fällt aber schwer, diese einzuordnen (welches sind Fakten, was nur Panik-Mache, was Verschwörungstheorien). Dazu kommen oft Existenz-Ängste. Auch weiss keiner, wann sich die Situation bessern wird und was noch alles auf uns zukommt? Was raten Sie?

Psychologen und Psychologinnen raten zu einem strukturierten Tag, den man selbst in Quarantäne einhalten kann. Immer zur ähnlichen Tageszeit aufstehen und zu Bett gehen, die Ernährung gesund und ausgewogen gestalten und mit einem variierenden Sport-Programm zu bewegen. Auch an die frische Luft zu gehen für einen kurzen Spaziergang tut gut. Soziale Interaktionen sind zu pflegen und zu planen, so hat man immer einen «Programmpunkt», auf den man sich freuen kann. Jetzt ist eine gute Zeit, um Projekte innerhalb der vier Wände anzugehen und umzusetzen. Ausserdem ist es ratsam, einmal eine «Medienpause» einzuschalten, damit die Informationsflut im Kopf nicht überhand nimmt. 

Symboldbild Social Distancing Quarantäne

Die Schulen sind nun in der Pflicht, geeignete Wege zu finden…

Während uns der Kontakt zu gewissen Menschen (beste Freundin, nahe stehenden Verwandten wie (Gross)eltern etc.) deutlich erschwert wird, sind viele Familien nun fast 24h oft auf engstem Raum zusammen. Gerade für Eltern, die zuvor gearbeitet und eine Kinderbetreuung beansprucht haben, ist die Umstellung gross. Dazu kommen allenfalls die Herausforderungen des Home-Schooling. Was können Familien tun, um diese Zeit gut zu überstehen?

Die Kommunikation zwischen den Elternteilen ist sehr wichtig, Absprachen zu treffen und einzuhalten. Sich über Pausenzeiten zu einigen und auch den Kindern klar zu machen, dass in dieser aussergewöhnlichen Situation auch aussergewöhnliche neue Regeln gelten. In diesen Zeiten haben es wiederum Alleinerziehende besonders schwer. Sie haben in der Regel nun keine Entlastungsmöglichkeiten mehr, ausser sie schliessen sich mit einer anderen Familie zusammen. Die Schulen sind nun in der Pflicht geeignete Wege zu finden, um den Unterricht möglichst so zu gestalten, dass die Kinder selbstverantwortlich lernen und die Eltern beim Home-Office nicht gestört werden. 

Anmerkung der Bloggerin: Das ist tatsächlich ein grosses Thema… Ich bin froh, sind jetzt erst mal 2 Wochen Osterferien und ich bin gespannt, was sich die Lehrer für die Zeit danach allenfalls einfallen lassen. Anfangs haben sich die Kinder tatsächlich für ca. 1h selbstständig dem Unterrichts-Material gewidmet. Heute kamen sie ohne mich gar nicht klar… 

In Kontakt bleiben, auch während der Pandemie 

Halten Sie es für möglich, dass es während der Corona-Krise auch vermehrt zu Selbstmord(versuch)en u/o (häuslicher) Gewalt kommt?

Dies ist leider zu befürchten. Wir wissen aber, dass hier bereits proaktiv Hilfe und Unterstützung durch einschlägige Fachleute (Tipps im Internet, Frauenhäuser, etc.) angeboten wird. Wenn Nachbarn eine solche eskalierende Situation mitbekommen sind sie selbstverständlich dazu angehalten, geeignete Hilfe (Polizei, KESB) zu holen.

Was raten Sie Angehörigen gefährdeter Menschen? Was können diese trotz Social Distancing unternehmen?

In Kontakt zu bleiben, regelmässig anzurufen und sich auszutauschen über Sorgen und Nöte. Wenn immer möglich, direkte Hilfe zu leisten.

Wenn die Gefahr vorüber ist, kommen meistens wieder die alten Verhaltensweisen zum Vorschein.

Symbolbild Hamsterkäufe WC-Papier

Viele erfreuen sich an den „guten Seiten“ der Krise. So ist es vielerorts unglaublich, wie schnell und selbstlos Menschen Hilfs-Netzwerke aufgebaut haben und koordinieren. Die Pandemie scheint das Gute im Menschen heraus zu kitzeln. Gleichzeitig zeugen die vielen Hamsterkäufe aber auch von purem Egoismus. Ein Widerspruch?

Es ist kein Widerspruch per se, der Mensch kann zugleich auf gesellschaftlicher Ebene unterstützend denken und handeln und auf individueller Ebene sehr egoistisch und kurzsichtig. Der Ausspruch «jeder ist sich selbst am Nächsten» trifft auch hier zu. Das heisst aber nicht, dass man danach nicht auch an Andere (z.B. hilfsbedürftige Nachbarn) denkt und diesen helfen möchte.

Denken Sie, dass sich die Gesellschaft durch die Corona-Krise langfristig verändern kann und wenn ja inwiefern? 

Ich hoffe natürlich, dass die Solidarität in der Gesellschaft auf diesem hohen Niveau bleibt und auch das Bewusstsein für Ökologie und wirtschaftliche Verletzlichkeit nicht abnimmt. Allerdings ist es ein altbekanntes Phänomen, dass wenn die «Gefahr» vorüber ist, und der Leidensdruck abnimmt, wieder die alten Verhaltensweisen wie vor der Krise zum Vorschein kommen.

Nach der Pest im Mittelalter kam die Renaissance. Erwarten Sie ähnliches von den ersten Tagen/Wochen nach der Krise? Oder wird jeder dort anknüpfen, wo er aufgehört hat…

Vermutlich wird die Krise uns auf mehreren Ebenen verändern: auf individueller Ebene ist man froh, etwas unversehrt überstanden zu haben, die festgefahrenen Strukturen in der Arbeitswelt und vielleicht auch die Abläufe innerhalb der Schulen werden einzelne Elemente der «Corona-Zeit» übernehmen und die Politik wird Lehren ziehen und sich dadurch noch besser für zukünftige Pandemien wappnen.

Vielen Dank für das Interview! 

Auch spannend: Keine Angst vor der Krise – ein Beitrag von Daniela Gaigg (Blog „Die kleine Botin“)

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2 comments
  1. Hallo,
    danke für diesen interessanten und vorallem professionellen Artikel. Ich bin vorallem gespannt, wie sich unser Sozialleben nach dieser Krise entwickelt. Gehen wir alle wieder sofort zurück zur Normalität? Dauert es? Gibt es dauerhafte Änderungen?
    Das wird für uns als Gesellschaft eine große Herausforderung werden. So oder so.

    Grüße
    Anna

    1. Lieben Dank! 🙂 Ja, es ist eine Riesen-Herausforderung. Ich denke, dass wir bald wieder zur Normalität zurückkehren werden aber sensibilisierter sein werden in Bezug auf Distanz, Husten etc. Ich habe früher nie in den Ellenbogen gehustet, ich schätze, das wird mir bleiben… Vermutlich wird auf die Hygiene in Zukunft überall mehr wert gelegt… Evtl. wird man Kontakte anfangs als exklusiver ansehen. Wer früher bei Treffen vielleicht zwischendurch auf’s Handy schaute, wird das später vlt eher mal weg stecken…

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