Mirjam von Rohr

„Ich will das Maximum aus mir herausholen“

Mirjam von Rohr hat sich gerade mit einer Spitzen-Performance bei den CrossFit Open 2024 auf den herausragenden 1. Platz gekämpft und damit über 136’000 Athletinnen hinter sich gelassen. Aber nicht nur das. Das junge Ausnahme-Talent hat sich nur kurz nach dem letzten Workout zusammen mit einer anderen Athletin im Hyrox (Kategorie Double Pro) für die Weltmeisterschaft qualifiziert und einen Weltrekord in ihrer Altersklasse aufgestellt.

Neben weiterer Erfolge, die sie im Hyrox bereits erzielte, ist sie auch Vize-Weltmeisterin im Functional Fitness und holte Podestplätze an mehreren Wettkämpfen. Nun aber zu CrossFit, denn hier legt die 22-Jährige 2024 ihren sportlichen Fokus.

Mirjam, Du hast bereits für Workout 24.1 den Weltrekord gesetzt (und die Opens gewonnen, das Interview fand vorher statt) und damit viel Aufmerksamkeit auf Dich gezogen. Wie viele Anrufe und Nachrichten hast Du bekommen?
Gezählt habe ich die Nachrichten nicht, aber es waren viele. Über Social Media wurde ich in vielen Beiträgen, Story und Kommentaren erwähnt, da hatte ich teilweise schon keinen Überblick mehr, ob ich jedem Kommentar, Beitrag oder Story meine Aufmerksamkeit schenken konnte.

Gab es eine Nachricht, die Dich besonders überrascht oder gefreut hat?
Alle Glückwünsche waren schön. Am meisten freuten mich diejenigen von Members aus dem Crossfit, welche mit mir die Trainings besuchen und fast täglich sehen, wie ich an mir arbeite um dies zu erreichen. Die Nachrichten von anderen Crossfit-Athleten oder meiner Hyrox Elite 15 Kolleginnen waren ebenfalls sehr schön. Ich könnte da sicher mindestens zehn Personen aufzählen, bei denen ich mich sehr gefreut habe über die Nachricht. Sponsoringangebote gab es bisher keine, ich denke dafür ist dieser Erfolg noch zu klein.

Mir kommen immer wieder Ideen für Herausforderungen in den Sinn.

Deine bisherigen Erfolge und Challenges sind extrem beeindruckend, fast schon übermenschlich. Was denkst Du, macht Dich zu einer solch versierten, starken und ausdauernden Athletin?
Manchmal überrasche ich mich selbst. Ich erreiche gewisse Sachen, die ich selbst mehrere Monate zuvor als unrealistisch betrachtet habe. Meine grösste Faszination an Fitness ist es nicht, besser zu sein als andere Athleten, sondern das Maximum aus mir herauszuholen, keine Grenzen zu setzen, kreativ sein und herausfinden, wo mein physiologisches Maximum ist.

Woher hast Du die Ideen für Challenges wie z.B. der 100kg max. unbroken Backsquats?
An Wettkämpfen oder auch schon im Training kommen mir immer wieder Ideen für Herausforderungen in den Sinn. Ich notiere diese und bei einem passenden Zeitpunkt in der Wettkampfsaison nehme ich mir die Zeit, es auszuprobieren. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Leidenschaft dahinter. Ich mache den Sport nicht wie andere Athleten hauptsächlich um Erfolge zu haben und besser zu sein als andere, sondern, weil ich mich gerne herausfordere und vieles dabei erleben möchte.

Klar habe ich auch sportliche Ziele, wie vielleicht mal an die CrossFit Games zu kommen, jedoch überbewerte ich dieses Ziel nicht. Mein allergrösstes Ziel ist es, eines Tages zu sagen: «ich habe das Maximum aus meiner Leistungsfähigkeit herausgeholt.» Das ist die Faszination, die mich antreibt. Wenn es die Games sind, dann toll, aber der Weg ans Ziel mit all der Erfahrung ist das, was mir mehr in Erinnerung bleiben wird. Ich will herausfinden, wie stark, schnell und ausdauernd ich werden kann.

Wie sieht Dein Trainingspensum aktuell aus? 
Das Trainings-Pensum variiert im Moment stark. Auch bei mir läuft nicht immer alles wie gewünscht. Körperlich erhole ich mich unglaublich schnell und habe keinen einzigen Schmerz, muss aber auch sagen, dass ich viel dafür investiere, damit ich mich komplett uneingeschränkt und schmerzfrei bewegen kann. Das ist selten auf diesem Level, praktisch alle Athleten haben mit mehreren Kleinigkeiten zu kämpfen.

Ich erreiche innerhalb kurzer Zeit zu viele Erfolge.

Mental sieht es mit der Erholung leider etwas anders aus. Ich erreiche innerhalb zu kurzer Zeit zu viele Erfolge, wie Europa- und Weltmeistertitel und diverse Weltrekorde, sodass ich gar nicht mehr genau weiss, wie viele Rekorde es im Moment sind. Es ist nicht einfach, mehrere Sportarten auf Weltspitzenlevel zu betreiben und von einen Tag auf den anderen die Nummer eins auf der Welt zu sein. Es kommen viele neue Sachen neben dem Sport dazu, auf die ich mich nicht vorbereiten konnte, was es manchmal nicht ganz so einfach gemacht hat.

Und arbeitest Du noch oder bist Du mittlerweile Profi-Athletin bzw. auf dem Weg dazu?
Mein Ziel ist es, Profi-Athletin zu werden. Jedoch ist dieser Schritt alles andere als einfach. Es gibt nur vereinzelt Athleten auf der Welt, welche von CrossFit leben können und von Hyrox schon gar nicht. Jedoch ist der Aufwand gross, vor allem in punkto Organisation (Sponsoring, Termine, Online- und Medienpräsenz, Reisen für Wettkämpfe etc.), so dass es kaum möglich ist, nebenbei Vollzeit zu arbeiten. Ich arbeite deshalb Teilzeit für den Swiss Functional Fitness Verband.

Ich organisiere alles alleine.

Viel mehr Zeit bleibt nicht, um noch zu arbeiten, wenn man den Sport professionell machen und genügend Zeit für die Regeneration haben will. In anderen Sportarten werden Reisen für Wettkämpfe, administrative Aufgaben und anderes übernommen. Bei mir ist es jedoch so, dass ich alles alleine mache. Ich bin selbst verantwortlich, dass ich zu meinen Informationen komme, die Standards und Regeln des Wettkampfes kenne und weiss, wann ich wo sein muss. Durch das wurde ich sehr selbständig und kaum eine Herausforderung ist zu gross. Ich hatte in den letzten zwei Jahren viele Herausforderungen, habe aber daraus viel gelernt.

An welchen Schwächen arbeitest Du?
Schwächen gibt es viele. Vor allem, weil Crossfit einfach so vielfältig ist. Ich habe keine offensichtliche Schwächen wie z.B. Kraft, Ausdauer, Gymnastics etc., wie man es oft bei anderen Athleten sieht. Ich kann in jedem Bereich einige Übungen sehr gut und andere weniger. Im Bereich Ausdauer ist Schwimmen nicht meine Stärke. Erst seit ca. einem Jahr kann ich Crawl schwimmen. Im Schwimmbecken geht es bereits besser, aber im Freiwasser kann ich mich kaum überwinden, zu schwimmen. Im Moment arbeite ich mehr an der Schwäche Ring Muscle-up. Ich komme zwar aus dem Turnen, aber habe nie etwas ähnliches wie ein Ring Muscle-up gemacht. Einen Bar Muscle-up kann ich gut, aber an den Ringen braucht es noch etwas mehr Übung.

Ich hoffe, mich nicht für die Games zu qualifizieren.

Fast forward: Mirjam startet an den CrossFit Games 2024. Was ist Deine grösste Herausforderung?
Soweit bin ich ich noch nicht. Ich bin sehr gut in Workouts, die keine Skills benötigen, Workouts, bei denen es um Ausdauer, Kraftausdauer und Bewegungsgeschwindigkeit geht. Deshalb war das Workout 24.1 auch aussergewöhnlich gut für mich. Ich bin noch nicht so lange dabei wie andere Athleten und hatte durch Hyrox auch immer wieder Unterbrüche im Crossfit. Manchmal sehe ich mich noch als Beginner, da ich gewisse Sachen immer noch nicht gut kann, auf dem Leaderboard bin ich dann meist weiter vorne und vor Top-Athleten obwohl ich mich noch nicht dort sehe. Ich denke nach einem Workout wie 24.1, welches noch nicht viel mit einem CrossFit Games Workout zu tun hat, ist es schwer, anzunehmen, dass ich an die Games gehe. Ganz ehrlich hoffe ich sogar, mich dieses Jahr nicht zu qualifizieren.

Warum das?
Es ist für mich noch zu früh, ich will lieber noch mehr Trainingsfortschritte erzielen bevor ich an die Games gehe. Denn meine Saisonplanung habe ich ohne die CrossFit Games gemacht. Falls die Games dazwischen kommen, wird die Saison so lange, dass es für mich mental kaum möglich ist, über so viele Grossanlässe ohne Off-Season zu performen. Ich habe nebst der Crossfit Saison noch die Functional Fitness EM und WM, Fitnessspiele in Asien und werde an der Hyrox Weltmeisterschaft gleich in drei Kategorien um den WM-Titel kämpfen, zudem steht noch die Schweizermeisterschaft im Gewichtheben an. Ich fokussiere mich lieber dieses Jahr auf diese Anlässe, sammle Erfahrungen und setze das Ziel CrossFit Games für 2025 oder 2026.

Die Saisons meiner Sportarten passen nicht überein.

Die Herausforderung besteht definitiv darin, Sportarten zu priorisieren und im richtigen Zeitpunkt die richtige Leistung abzurufen. Manchmal plane ich bewusst ca. ein halbes Jahr lang keinen CrossFit Wettkampf (weshalb ich letztes Jahr nicht bei den Open dabei war) oder keinen Hyrox da auch ich nicht jeden Tag im Jahr einen Hyrox in einer Topzeit laufen werde. Wenn ich an einem CrossFit Wettkampf bin, interessiert es niemanden, wie schnell ich an diesem Tag einen Hyrox finishen würde, da dies nicht gefragt ist, von dem her muss ich auch nicht in Hyrox-Höchstform sein. So gab es viele CrossFit-Wettkämpfe im Herbst, bei denen mein Lauflevel relativ schwach war. Auch umgekehrt: an einem Hyrox-Wettkampf ist es nicht relevant, viel Gewicht zu stemmen.

Die Saisons in Hyrox, CrossFit, Functional Fitness und Weightlifting passen nicht überein. Ich hoffe immer, dass keine Grossanlässe am selben Datum sind. Zum Glück sind die Semifinals nicht am selben Wochenende wie die Hyrox WM, das war knapp. Es ist schwer, in einer Sportart weniger zu machen, wenn man bei allen zu den Besten gehört. Ich habe dieses Jahr im Hyrox etwas zurück gesteckt und nur an den europäischen Elite 15 Wettkämpfen teilgenommen, auch wenn ich mich für jeden in Amerika qualifiziert hätte.

Mein Ziel ist es, mich in allem zu spezialisieren.

Ich habe viele Pläne und auch eine langfristige Strategie. Den Weg an mein Ziel werde ich anders gestalten als die meisten CrossFitAthleten. Ich habe das Glück, dass ich keinen Zeitdruck habe, da ich erst (oder für mich schon) 22 Jahre alt bin. Wenn ich in circa 5-10 Jahren an die Crossfit Games will und nicht einfach dabei, sondern vorne dabei sein will, macht es aus meiner Sicht nicht viel Sinn, die nächsten Jahre einfach nur CrossFit-Wettkämpfe machen. Wenn man die Games schaut, heisst es immer wieder: «der war früher Schwimmer, deshalb hat er diesen Event gewonnen» oder «der war Kunstturner, deshalb läuft er so locker durch diesen Handstand-Parcours». Mein Ziel ist es, mich in jeder Disziplin, welche für CrossFit relevant ist, zu spezialisieren und von den Besten in diesen Disziplinen über mehrere Monate zu lernen und mit einem Wettkampf den Abschluss zu machen.

Das bedeutet, dass ich nicht im Sinn habe, die nächsten Jahre unglaublich viele CrossFit-Wettkämpfe zu absolvieren, sondern mehr Wettkämpfe in Sportarten, die im Crossfit unterstützen. Das war auch mit ein Grund, weshalb ich letztes Jahr nicht bei der CrossFit-Saison dabei war. Ich zählte im Hyrox zur Weltspitze und hatte die Chance, den WM-Titel in der Elite zu gewinnen. Ich nutze das Hyrox-Training, auch wenn es oft monoton, langweilig und eine unglaubliche mentale Herausforderung war, als Möglichkeit, meine Kondition, Durchhaltevermögen und meinen Wille zu stärken.

Ich möchte noch viele Sportarten ausprobieren.

Zudem lernte ich, in einer Sportart als Favorit an eine WM zu gehen, mit Druck-Situationen umgehen, Medien-Präsenz und die Leistung im richtigen Zeitpunkt abzuliefern. Auch ich bin teilweise gescheitert, aber ob man einen Sport nur national macht oder als Elite auf Weltspitzenlevel vor grossen Publikum, ist nochmal etwas ganz anderes. Daraus kann ich viel mitnehmen. Durch das, dass ich alles selbst geplant, organisiert, Trainingspläne geschrieben und Details analysiert habe, lernte ich unglaublich viel. Dieses Jahr ist es das Weightlifting. Mein Ziel ist es, an der Konstanz des Snatch zu arbeiten.

Ich möchte folgende Sportarten noch ausprobieren: Rudern (Indoor Wettkampf, Outdoor auf See trainieren), Triathlon (am Besten Langdistanz, ich mache jedes Jahr im August meinen eigenen Triathlon-Tag, jedes Jahr kommen Kilometer dazu, dies mache ich immer ohne Vorbereitung und es geht erstaunlich gut. Dieses Jahr werden es 3.8km Schwimmen, 160km Radfahren und 35km Laufen. Sportklettern, Calisthenics, Langlaufen, Powerlifting und Strongman. Im Sommer werde ich auch noch eine Challenge machen und die wäre, mit dem Fahrrad von zu Hause bis ans Meer zu fahren.

Kannst Du Dir ein Leben ohne (Leistungs-)Sport vorstellen?
Ein Leben ohne Sport kann ich mir tatsächlich vorstellen, aber es würde mir etwas fehlen. Der Sport gibt mir sehr viel positives, das wäre ohne nicht möglich. Keinen Leitungssport zu betreiben wäre sicher gemütlicher, denn als Leistungssportler befasst man sich schon sehr oft mit der Perfektion und damit, noch alles besser zu machen und steht sich selbst manchmal im Weg. Jedoch würde ich mich fragen, wieso ich den Sport mache, wenn ich kein Ziel habe.

Man hat immer ein Ziel.

Mir ist es sehr wichtig, ein Ziel zu haben für meine Motivation und meinen Antrieb. Ich trainiere nicht gerne ohne Sinn, ausser nach einem grossen Wettkampf, da kann ich mehrere Stunden lang ein Workout mit Trainingskollegen spielen, das meist noch hochkompliziert ist – mit Würfeln, Multiplikatoren und mehre Spiele in einem und am besten alles noch mit Gewichtsweste. Das ist eine Ausnahme, ansonsten mag ich es, fokussiert an etwas zu arbeiten um Fortschritte zu erzielen. Da ist der Leistungssport sehr toll, denn da hat man immer ein Ziel.

Dein liebstes Movement?
Es ist nicht so einfach, mich auf ein Movement einzuschränken. Es waren lange die Wallballs. Zu Beginn mochte ich diese Übung gar nicht, ich konnte nicht einmal den 4kg Ball zum Target werfen, nach üben, üben, üben wurde es besser. Als ich herausgefunden habe, dass ich damit im Hyrox meine Laufzeiten kompensieren kann, perfektionierte ich die Wallballs, bis sie zu meiner Lieblingsübung wurden.

Das AirBike mochte ich noch nie.

Dann finde ich auch Pullovers ganz toll. Ich brauchte lange bis ich die Technik mit dem richtigen Schwung herausfand, aber als ich gelernt habe, wie, machte die Übung so viel Spass, dass ich so viele Wiederholungen machte bis mir schwindlig wurde (sicher 30 Wiederholungen). Den Handstand Walk mag ich ebenfalls sehr, vor allem wenn es einen anspruchsvollen Parcours gibt. Leider habe ich dort, wo ich trainiere, keine Handstandrampe und kann es nie üben für die Wettkämpfe. Die Rampe finde ich aber sehr toll, vor allem wenn noch Parallettes dazwischen stehen und man noch freestanding Handstand Push-ups mit einbaut.

Ein Movement, das Du ungern machst?
Das AirBike mochte ich noch nie. Mit meinen kurzen Beinen sitze ich bei der Einstellung auf der 1. Aus dieser Position ist es nicht leicht, Kraft und Power zu generieren und zum anderen ist es einfach unangenehm anstrengend. Deadlifts und Double Unders sowie Schwimmen und Kettlebell Movements finde ich auch nicht so toll.

Liebe Mirjam, vielen Dank für das tolle Interview & weiterhin viel Erfolg! 

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