Buchcover Rita Messmer Der kleine Homo Sapiens kann's

Buchrezension: „Der kleine Homo Sapiens kann’s“ von Rita Messmer

Die Schweizer Autorin Rita Messmer hat als eine der ersten das Konzept „windelfrei“ in der Schweiz und Europa bekannt gemacht, das sie auch in ihrem ersten Buch „Ihr Baby kann’s!: Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit von Kindern fördern (Ratgeber)“ beschrieb. Das vorliegende Buch dreht sich um einen auf unseren genetischen Wurzeln basierten Umgang mit Baby und Kleinkind.

Rita Messmer arbeitet heute unter anderem als Therapeutin mit Spezialisierung auf die Cranio-Sacral-Therapie. In dieser Funktion behandelt die dreifache Mutter auch viele Kinder.

Dem Windelfrei-Konzept gab sie den neuen Namen „Hello Nappy“. Rita Messmer reiste in der Vergangenheit oft nach Südamerika, wo sie auch mit dem Continuum Concept  vertraut wurde wie wir es aus Jean Liedloffs Buch kennen.

„Welche Gemeinschaft kann sich das leisten?“

Die Erfahrungen, Erlebnisse und Beobachtungen, die sie dort machen durfte, veränderten ihren Blick auf die Erziehung, wie hier „gepflegt“ wird. Ihrer Ansicht nach läuft in der westlichen Welt vieles aus dem Ruder, werden die Kinder oft „überbehütet“, was dann zu Problemen in der Eltern-Kind-Beziehung führe. Dies erlebe sie regelmässig in ihrer Praxis. Sie schreibt:

Biologisch betrachtet ist die Renitenz unserer Kinder ein absoluter Wahnsinn (…). Nie und nimmer ist es evolutionsbiologisch vorgesehen, dass so viel Energie unnötig verpufft wird. (…) Sie lähmt die Eltern, letztlich eine ganze Gesellschaft. Das ist ein absurder Zustand. Welche andere Gemeinschaft, die sozial aufeinander angewiesen ist, kann sich das leisten?

Sie plädiert deshalb für ein „zurück zur Natur“ des Menschen und orientiert sich auch viel an Tieren, denn was diese täten, könne nicht falsch sein.

Bindung als Grundpfeiler

Die Entwicklung hin zu einer bindungs- und bedürfnisorientierten Elternschaft begrüsst Rita Messmer. Eine sichere Bindung sieht sie als Grundlage für die kindliche Entwicklung. Stillen, Tragen, Co-Sleeping und natürlich windelfrei.

All dies sorgt dafür, dass die Eltern die Signale und damit die Bedürfnisse ihrer Kinder rasch wahrnehmen und zeitnah erfüllen können. Die ersten drei Monate, so Messmer, sind ausschlaggebend für den Aufbau des Urvertrauens.

Danach könne bereits die „Erziehung“ beginnen. Und kurzes Weinen, wenn es dabei nicht um die Erfüllung eines Grundbedürfnisses geht, solle ausgehalten werden. Vom Baby und den Eltern. Mit dem Weinen würde es sich selber regulieren. Und dadurch, dass wir unsere Kinder immer sofort zu trösten versuchen, würden wir es daran hindern, sich wie vorgegeben zu entwickeln.

Sie nennt als einfaches Beispiel eine Brille, die z.B. die Mutter trägt. Jedes Baby wird sich früher oder später für die Brille interessieren und sie ergreifen. Das sei aber nicht erwünscht, denn das Kind könnte sie verbiegen.

Als klares Signal soll man das Baby einfach auf den Boden setzen. Es kann nun sein, dass es sich mit Weinen beschwert, aber wenn man das Kind lasse, beruhige es sich rasch von selbst. Wir müssen gar nichts unternehmen.

Signale statt Sprache

Überhaupt empfindet Rita Messmer solche „Signale“ als sehr wichtig bzw. sie kritisiert, dass Eltern sehr oft auch bei kleinen Babys schon versuchen, mit Sprache zu argumentieren. Doch dafür fehle das Verständnis. Wir könnten in diesem Alter unserem Kind nicht erklären, dass die Brille kaputt gehen kann. Es brauche ein deutliches Signal wie das auf den Boden setzen des Kindes.

Ein anderes Signal wäre das auf den Schoss nehmen wenn das Kind z.B. zu Besuch bei jemandem etwas macht, das es nicht sollte, z.B. mit einer Vase am Boden spielen. Auch hier könne es sein, dass das Kind protestiert. Gehe man aber nicht weiter darauf ein und behalte es einfach auf dem Schoss, würde es sich ebenfalls bald beruhigen (regulatives System).

Die Erfahrung von Frustration sei trotzdem wichtig für die Entwicklung und dürfe ihm nicht genommen werden. Denn nichts in uns sei ein stärkerer Motor als die eigene Frustrationserfahrung.

Wir werden aktiv, kreativ, lösungsorientiert. Deshalb ist es wichtig, dass wir auf das Weinen von Babys nach dem dritten Lebensmonat immer gelassener reagieren.“ Natürlich, wie schon erwähnt, ohne die Grundbedürfnisse zu vernachlässigen.

Verantwortung an das Kind abgeben

Messmer kritisiert, dass die heutigen Eltern ihre Kinder zu sehr ins Zentrum stellen und das dürfe nicht sein. Kinder bräuchten Orientierung, eine verlässliche Führung, einen vorgegeben Rahmen, der nicht verhandelbar sei.

So ähnlich klingt es auch bei Juul (Leitwölfe sein: Liebevolle Führung in der Familie, meine Rezension steht noch aus). Das habe aber nichts mit autoritärer Erziehung zu tun. Trotzdem: nicht die Eltern sollten sich nach dem Kind richten, sondern umgekehrt.

Rita Messmer ist auch dafür, dass die Eltern so viel wie möglich an Verantwortung ans Kind abgeben und es nicht ständig behüten. Die Eltern sollten mehr Vertrauen ins Kind haben und gelassen bleiben. Wenn es gefährlich werde, könne man immer noch eingreifen.

In „Der kleine Homo sapiens kann’s“ bringt Messmer immer wieder anschauliche Praxisbeispiele wie auch konkrete Beispiele aus ihrem eigenen Alltag als Mutter.

Obwohl ich noch während der Lektüre des Buches auch mit anderen diskutiert habe und zum Teil sehr kritische Stimmen gehört habe, finde ich, dass man durchaus einiges für sich mitnehmen kann. Rita Messmer regt dazu an, seinen Umgang mit den Kindern zu hinterfragen und vielleicht sogar das eine oder andere in Zukunft anders zu machen.

Zieht der Vergleich mit anderen Völkern?

Es wird der Autorin z.B. vorgeworfen, dass sie gewisse Völker romantisiere und dass wir in einer solch anderen Situation leben heutzutage, dass direkte Vergleiche keinen Sinn machen und die Adaption von allem, was diese Völker machen, auch nicht möglich oder förderlich sei.

Auch wird z.B. die Situation verurteilt, in der Rita erklärt, dass sie ein Kind auch mal leer ausgehen lassen würde wenn es nach wiederholtem Male den Tisch nicht deckt oder nicht zum Essen erscheint. Ich werde das mal so stehen lassen…

Wenn ich auf meine Kinder schaue, dann ist mein Sohn wohl tatsächlich ein solches renitentes Exemplar… Seit er auf der Welt ist frage ich mich immer wieder, was ich alles falsch gemacht habe. Vermutlich vieles.

Ich merke einen grossen Unterschied zu meinen Töchtern, den ich darauf schiebe, dass ich ihn kaum getragen habe, obwohl er es mit Sicherheit eine Zeit lang gebraucht hätte und dass wir ihn viel zu oft alleine (ein)schlafen liessen. Überbehütet habe ich ihn sicherlich nicht, im Gegenteil.

Aber im Zentrum stand er immer. Ob dies aber seiner Gefühlsstärke geschuldet ist, die sich schon früh zeigte, oder uns, das kann ich natürlich nicht mehr rekapitulieren. Vielleicht ist es eine Kombi aus beidem.

Auch ist er laut Einschätzung von Rita Messmer, die einen ähnlich Fall eines 7-Jährigen beschrieb, vermutlich zu alt, als, dass man noch viel ändern könnte… Wir versuchen es trotzdem… Aber die Tipps in „Der kleine Homo sapiens kann’s“ sind definitiv eher für Eltern von Babys und Kleinkinder bis zu 3, 4 Jahren.

So, und jetzt macht Euch gerne mit der Lektüre selber ein Bild und ich bin offen für Eure Meinungen, also kommentiert gerne! 🙂

Das Buch ist erschienen im Beltz Verlag und u.a. hier erhältlich:

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7 comments
  1. Danke Liebes toller Bericht und ich glaube sehr viel intuitiv so gemacht zu haben. Auf die Körpersprache schauen, die Signale der Kinder beobachten usw. Aber eben perfekt sind wir alle nicht, aber das Bauchgefühl ist ja meistens das Richtige 🙂
    Schöne Woche und liebe Grüsse, Fatima

    1. Dankeschön, liebe Fatima! 💖🙏🏻 Ich dachte auch, dass mir mein Bauchgefühl sagt, was richtig ist, aber je mehr man liest, desto unsicherer wird man leider oft 🙈 Glg und auch Dir eine schöne Woche 💖🙌🏻

  2. Das neueste Buch von Rita Messmer – Der kleine Homo Sapiens kann’s! – hat mich sehr überzeugt. Für mich stimmt ihre geschilderte Sichtweise mit meiner Intuition überein. Das genannte Beispiel mit der Brille zeigt es z.B. wunderschön auf und man kann es auf weitere Alltagsbeispiele transferieren: Als ich beispielsweise an meinem Computer gearbeitet habe, kam meine damals wohl ca. 8-10-monatige Tochter angekrabbelt und wollte zu mir hoch. Biologisch korrekt, denn ich bin ihr Vorbild und sie wollte schauen, was denn ihre Mama da so Spannendes machte. Ich nahm sie hoch auf meinen Schoss, drückte sie fest an mir und schrieb kurz darauf am Computer weiter. Das wollte sie mir natürlich nachmachen, denn es war etwas Neues und sah wohl spannend aus, doch ich wollte das nicht (ich gab ihr natürlich kurz etwas Zeit zum Experimentieren, aber dann hatte ich auch meine Sachen am Computer zu erledigen). Ich machte ein Zeichen (z.B. Aih), sie schaute mich an, ich schüttelte leicht den Kopf. Ihre kleine innere Stimme war nun stärker und sagte ihr wohl: „Das ist spannend, mach weiter“, also setzte ich sie liebevoll aber bestimmt und sanft auf den Boden. Es folgte eine natürliche biologische Reaktion, indem sie zu weinen anfing. Doch das dauerte nur einige Sekunden, da meine Tochter mein Vorgehen bereits aus anderen Alltagssituationen kannte – ich konnte sie wieder auf den Schoss nehmen und sie hatte verstanden. Wollte sie bei mir sein, durfte sie das selbstverständlich, doch dann galt dieses Verhalten, denn auch ich hatte meine Alltagsdinge zu erledigen. Nach den Spielphasen folgten die üblichen Haushaltsphasen, in welchen mein Kleinkind mir zuschauen, sich selber beschäftigen oder mir mithelfen konnte (es gab bei fast jeder Situation etwas, was meine Tochter mithelfen konnte, kreativ zu sein kann tolle Ideen hervorbringen). Zurück auf meinem Schoss vor dem Computer genoss sie nun einfach die Nähe zu mir, schaute mir zu und wollte dann von selbst wieder runter: Ihr Bedürfnis wurde gestillt, sie hatte meine Nähe erhalten, sie konnte mir zuschauen und dazulernen, das Vertrauen war völlig vorhanden, denn ihr war klar, wie es ablief.
    Ich habe das Buch „Windelfrei – Ihr Baby kann’s“ von Rita Messmer gelesen, als unsere Tochter ca. 8 Wochen alt war. Bereits dieses Buch entsprach mir sehr, da auch dieses meiner Intuition entsprach und ein biologisch korrektes Verhalten (von beiden Seiten her) aufzeigte. Ich habe die genannten Tipps, Vorgehensweisen etc. umgesetzt und es ist wirklich so, dass es klappt! Wenn ihr euch auf die Thematik Windelfrei von Rita Messmer bzw. jetzt Hello Nappy konzentriert, öffnet euch dieser Weg die Augen zum „Lesen der Signale“ und zu all den sensiblen Phasen des Babys und Kleinkindes. Wie Rita sagt: Signale statt Worte. Ein Signal ist klarer als tausend Worte und irritiert das Baby/Kleinkind nicht. Mit Wörtern und Sätzen und Gestik und Mimik und Lautstärke ist das Baby zu Beginn, aber auch das Kleinkind später, überfordert und dadurch wirken sie nicht korrekt. Das Baby/Kleinkind erhält die falschen Signale von den Eltern, ist irritiert, unsicher und verhält sich mit der Zeit nicht mehr biologisch korrekt, weil die erhaltenen Signale nicht biologisch korrekt waren. Geht das so weiter, wird es stets verstrickter, das Kleinkind wird „falsch programmiert“ und wir wissen es nun heute: Die ersten 3 Jahre sind die prägendsten und wie der Name sagt: Der Mensch wird geprägt. Ein falsches Verhalten seitens der Eltern kann zu einem renitenten Kind führen. Ein renitentes Kind weiss oft nicht mehr, was richtig und falsch ist, wo oben und unten ist, es spürt sich nicht mehr, weil die frühen gesendeten Signale nicht korrekt beantwortet wurden.
    Ein weiterer ganz wichtiger Punkt, welcher Rita Messmer in ihrem Buch hervorhebt, ist derjenige, dass die Eltern die Reaktion eines Babys/Kleinkindes nicht persönlich nehmen dürfen. Denn es reagiert stets korrekt, das Kleinkind kann noch nicht manipulieren, interpretieren – es reagiert einfach. Also nichts persönlich nehmen, dann reagiert man automatisch ohne Aggression, ohne Wut, sondern einfach liebevoll oder neutral. Dies führt zu mehr (Selbst-)Sicherheit, nicht nur bei den Eltern, sondern schlussendlich auch beim Kind, denn die Eltern sind sein Vorbild und sein Verhalten ist ihr Spiegel.
    Ich empfehle das Buch sehr. Die Welt hat genug Prinzen und Prinzessinnen, denn spätestens jetzt haben wir es erfahren und wissen es: Diese Menschen sind als Erwachsene nicht glücklich, denn das Umfeld bzw. die Welt stellt sie plötzlich nicht mehr in den Mittelpunkt, lobt sie nicht mehr für alles. Und das schmerzt und kränkt, sowohl die Betroffenen selber, als auch die Gesellschaft. Und wer möchte das schon. Ein Reseat ist nicht unmöglich, doch dauert länger als 3 Jahre.

  3. Ich bin mir nicht bewusst, ein gewisses Volk zu romantisieren. Ich habe einen starken Bezug zu den Indianer, das stimmt, aber das ist zusammenfassend, was ich in vielen Kulturen beobachtet habe: Sei es in Zentralamerika, Südamerika, Afrika, Asien, Indonesien oder auch der Mongolei. Und es geht dabei nicht nur um indigene sondern durchaus zivilisierte Kulturen. Das Verhalten dieser Menschen ähnelt sich im Umgang mit Kleinkindern fast wie ein Ei dem andern. Und was besonders auffällt, es gibt in diesen Kulturen keine Probleme mit Kindern. Die Kinder widersprechen nicht, sie gehorchen, sie passen sich ein, sie sind fröhlich, sie fordern nicht dauernd die Aufmerksamkeit der Erwachsenen – es fühlt sich in diesen Kulturen einfach stimmig an, „man“ liebt diese Kinder! Bemerkenswert ist auch, dass die Kulturen, von denen ich hier spreche, dieses Verhalten bei ihren Kindern ohne jegliches Strafen, Schlagen und Drohen erreichen.
    Wir müssen uns ja bewusst sein, dass wir in Mitteleuropa aus einer kinderfeindlichen Kultur stammen (schwarze Pädagogik). Zudem kannte man bei uns die Bedürfnisse von Babys und Kindern in keinster Weise, im Gegenteil, man hat alles unterdrückt. Die Bedürfnisbefriedigung von Babys, so wie Tragen, Stillen, Windelfrei usw. stammen ja gerade aus diesen Kulturen. Ist es demzufolge nicht auch sinnvoll, den anderen Umgang mit Babys und Kindern ebenso zu assimilieren? Wir müssen uns bewusst werden, dass wir ein soziales Nervensystem haben und dieses ist darauf angewiesen biologisch die richtigen Impulse zu bekommen. Erst das gibt auch unseren Kindern wieder den Rückhalt, die Orientierung, die Sicherheit, die sie bei uns suchen – ganz unabhängig von der Zivilisation in der ich lebe.

    1. Lieben Dank für diesen Beitrag, Rita! ☺️🙏🏻

  4. Hi, nice article. I would recomend Ritas books without hesitation. I have been raising my child with these concepts in mind and the results are very obvious. If we as a society can put this information to use we will definately all benefit from it. A large part of the problem is people putting the bad behavior of children directly on the childs shoulders. It is clear that a child will act in accordance with what they have experienced and been tought. How our children act is completely our responsibility as parents. No matter where we live we can involve our children in day to day activity and allow them a safe space to learn for themselves. I hope this advice reaches as many new parents as possible, giving them the tools to provide their children with the skills and confidence to lead fullfilling independent lives.

    1. Hi Jordie, thank you very much for your opinion on the book and its concept! I’m happy to hear you made good experiences raising your children like that. I see that problem, too, even in my own family. My husband thinks this way and I guess many others do. I don’t know why this is in people’s minds nowadays or always has been… Have a nice evening, dear!

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